Die Denkmalpflege ist die wissenschaftliche Zeitschrift der Vereinigung der Denkmalfachämter in den Ländern (VDL). Die 1899 gegründete Zeitschrift informiert halbjährlich zu grundsätzlichen Fragen der Denkmalforschung und Denkmalpraxis in Deutschland. Reich illustrierte Themenhefte bündeln Erfahrungen und Perspektiven und spiegeln die aktuellen Tendenzen der Disziplin wider. Den Aufsatzteil ergänzen Kurzberichte aus den Ländern über wichtige Fälle und Ereignisse.

The journal on historic preservation, »Die Denkmalpflege«, was founded in 1899. It is published biannually and provides all the important information on historic preservation in Germany. Articles on practical knowledge are richly illustrated. Essays on theoretical questions and discussions in the section »Forum« make this interesting journal complete.

Wissenschaftliche Zeitschrift der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der  Bundesrepublik  Deutschland

Die  Denkmalpflege

Die Denkmalpflege

<div>2009 feierte das Bistum Regensburg das 900-jährige Jubiläum des von Bischof Otto I. von Bamberg gegründeten benediktinischen Reformklosters Prüfening. Diese – neben St. Vitus, St. Jakob und Niedermünster – vierte Ordensniederlassung im ehemals lange unbebauten Westen des heutigen Weltkulturerbes »Altstadt Regensburg mit Stadtamhof« (13.7.2006) entwickelte schnell mit seinem herausragenden <italic>scriptorium</italic> und seiner Bibliothek im 12. Jahrhundert eine europäische Wirkungsgeschichte. Die Klosterkirche, eine dreischiffige Pfeilerbasilika, wurde nach Modellen der Hirsauer Reformbewegung als erster Quaderbau Altbayerns errichtet und 1119 dem hl. Georg geweiht. Sie beherbergt die weithin berühmten Wandmalereien des 12. Jahrhunderts (vollendet wohl zur Schlussweihe 1125), die nach ihrer Wiederentdeckung und Freilegung ab 1897 in den Nebenchören im Zuge einer weitgehenden Über- und Neubemalung im Presbyterium um 1900 bereits von der zeitgenössischen Denkmalpflege kontrovers diskutiert und rezipiert wurden. Der monastische Niedergang sowie die Folgen der Reformation in nächster Nähe zur protestantischen Reichsstadt Regensburg ließen erst im Laufe des 17. Jahrhundert eine monastische und bauliche Erneuerung zu. Es kam zum Abbruch der romanischen Hauptapsis, anstelle der romanischen Flachdecke wurden in Lang- und Querhaus von Johann Gebhardt freskierte Gewölbe eingezogen. Neue Seitenaltäre und die – nach Abbruch ihrer mittelalterlichen Vorgängerin – neu errichteten Vorhalle mit darüber liegenden Wohnbereichen und der Westfassade vollendeten das barocke Gepräge. Nach dem Verkauf der Klostergebäude 1803 an Privat im Rahmen der Säkularisation blieb die Kirche im Besitz des Freistaates Bayern, der nach Verträgen von 1866 die primäre Baupflicht hat, während der Kircheninnenraum ausschließlich der Kirchenbaulast unterliegt. Es waren vor allem die Spätfolgen der barocken Überformung, die mit ihren statisch-konstruktiven Störungen im Chor, an den Türmen und im Dachstuhl seither immer wieder Maßnahmen erforderlich und 2001 endlich eine eingehende Untersuchung nötig machten. In den Jahren zwischen 2014 und 2019 erfolgte schließlich im Zusammenwirken des Staatlichen Bauamts Regensburg mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) eine umfassende Instandsetzung dieses Baudenkmals von europäischem Rang. Zwei Jahre später liegen nun eine von Michael Schmidt herausgegebene Dokumentation der Maßnahmen und eine Zusammenfassung der dabei neu geordneten wie neu gewonnenen kunsthistorischen und denkmalpflegerischen Erkenntnisse in zwölf Textbeiträgen vor. Die einleitend umrissenen baulichen Eingriffe der Barockzeit mit ihren Folgeschäden geben dabei fast zwingend den Rahmen des für das komplexe Vorhaben nötigen Projektmanagements vor. Die Gliederung der Publikation mutet angesichts der jahrzehntelangen Vorbereitung und Durchführung der Sicherungsmaßnahmen (im besten Sinne) erstaunlich konventionell an. Es fallen sogleich die vorgenommene und durchaus willkommene Gewichtung zugunsten der Themenkreise Bauforschung, Kunst- und Denkmalpflegegeschichte ins Auge. Diese spiegeln jedoch nicht unbedingt die Chronologie der ebenfalls zu dokumentierenden Maßnahmen und die dabei – hier vor allem interessierenden – gewonnenen Erkenntnisse und Reflexionen bzw. das bei der denkmalpflegerischen Umsetzung notwendigerweise verschränkte interdisziplinäre wie zwischenbehördliche Arbeiten wider. Das kann vom Rezensenten als Stärke wie als auch Schwäche ausgelegt werden. In der Tat lassen sich so Redundanzen in den einzelnen Beiträgen nicht vermeiden und die Publikation erscheint so immanent zweigeteilt: in Forschungsberichte und Arbeitsberichte. Die Herausforderung einer Darstellung des Mehrwerts angewandter Forschung und des Erkenntnisgewinns in der abschließenden Würdigung, der Dynamik der langjährigen – ohne Zweifel gelungenen – Zusammenarbeit und des gemeinsamen Ringens um die besten Lösungen wurde damit aber leider nicht eingelöst. Hilfreich wäre es gewesen, diese Metaebene des inter- und multidisziplinären Diskurses in einer Einführung des Herausgebers zu reflektieren, zumal ja in der Gesamtschau der Beiträge eine hohe Professionalität aller Beteiligten erkennbar ist – sie werden nur eigenartig erratisch präsentiert. Christian Brunner vom Staatlichen Bauamt Regensburg erwähnt in seinem kurzen Überblick die Beteiligung von 20 Ingenieurbüros, 35 Restauratoren und spezialisierten Baufirmen sowie die Moderation von fünf Eigentümerinteressen neben der Koordination von hauseigenen Fachabteilungen und insgesamt rund 60 Projektbeteiligten, die schließlich eine Investition von staatlichen und kirchlichen Mitteln in Höhe von 4,4 Millionen Euro zeitigte. Auch wenn es als ein mittlerweile allzu abgenutztes Etikett erscheinen muss: Die hier dokumentierte Instandsetzung kann und sollte als ein aktuelles Beispiel einer konservatorisch restauratorischen wie denkmalpflegerischen <italic>best practice</italic> in Bayern im Umgang mit kirchlichen Großräumen und ihrer baufesten wie beweglichen Ausstattung reflektiert werden. Gerade Regensburg war ja seit den frühen 1980er Jahren Großlabor, Forschungs- und Wirkungsstätte von Spezialist*innen aus allen Sparten der Denkmalpflegeberufe und im besten Sinne ein »Lieblingskind« der staatlichen Denkmalpflege – nun sind einige ihre Protagonist*innen tatsächlich auch merklich nahe an oder bereits in das Pensionsalter vorgerückt, was die Verpflichtung aufwirft, Kontinuitäten zu schaffen.Deshalb möge hier ein Kunstgriff erlaubt sein, indem der Blick zunächst auf den gefühlten zweiten Teil der Publikation fallen soll. Diesen eröffnet Isolde Schmidt mit einer erstmalig systematischen Darstellung der Erhaltungsbemühungen an der Klosterkirche als staatliche Bauaufgabe im 19. Jahrhundert anhand von Archivalien, Bestandsplänen und -zeichnungen, aber auch mit der Dokumentation verlorener bzw. lediglich geplanter Zustände, die im Anhang entsprechend gelistet, kommentiert und mit zum Teil ganzseitigen Illustrationen vermittelt werden. Die Regelung der Baupflicht 1863–1866 mit ihren bis heute bestehenden Besonderheiten und Widersprüchlichkeiten bedingte Bestandspläne als Grundlage späterer Kataster- und Inventarpläne und ermöglichte erste Brandschutzmaßnahmen sowie die Neueindeckung von Dächern. Das hochaktuelle Thema »Pflege und Wartung« und der Schutz vor direktem wie indirektem Wassereintrag wurde etwa mit dem Bau einer Entwässerungsanlage zeitgleich angegangen. Zwischen 1872–1875 wurden statische Untersuchungen und Langzeitbeobachtungen angestrengt, die in einem Langzeitmonitoring der Risse und dem Einbau einer »Diagonalversteifung« 1883 mündeten. Interessanterweise wurden erste romanisierende Bemühungen in den 1870er Jahren, nämlich das barocke Gewölbe mit einer Flachdecke zu ersetzen, mit Kosten- und Brandschutzgründen einerseits und der Einzigartigkeit der Darstellung des Martyriums des Hl. Georg andererseits vom Bischöflichen Ordinariat abgewehrt. Die Restaurierung der Innenraumschale 1886 schloss demnach die Erhaltung der barocken Deckengemälde ein, obwohl eine erste Re-Romanisierung mit der Translozierung der Erminoldgrabplatte und ihrer Neuaufstellung auf einer »stylgerechten« neuen Tumba vor dem Hochchor (weiter?-)betrieben wurde. Erst die »Bloßlegung« der romanischen Wandmalereien in den Chören 1897–1901 sowie die damit schrittweise einhergehende Purifizierung von barocken Einbauten und schließlich der »scrape« der Außenputze zugunsten eines mit Portlandzement verfugten Sichtmauerwerks 1907–1910 schienen bereits einen Weg ohne Wiederkehr vorzuzeichnen.Auf dieser hier nur angeschnittenen neuen Aktenlage einerseits und auf Grundlage einer umsichtigen und kundig weit gesteckten Reflexion der jüngeren Literatur, zusammen mit unveröffentlichten Archivalien des BLfD und Beobachtungen aus seiner praktischen Denkmalpflegetätigkeit andererseits, gelingt es Michael Schmidt mit einem Parcoursritt durch die regionale sowie nationale Denkmalpflegegeschichte, die Besonderheit des Prüfeninger Fallbeispiels und die verschiedenen Ansätze der Protagonist*innen (Restauratore*innen, Kunsthistoriker*innen und Amtsvertreter*innen) beim Erhalt mittelalterlicher Wandmalerei um 1900 in Regensburg und Bayern bildhaft (im doppelten Sinn!) und durchaus überraschend neu und spannend vor dem Hintergrund des Paradigmenwechsels in der Denkmalpflege zu schildern. Seit der Jahrtausendwende hatte das Thema bereits Amts-Konservator*innen, -Restaurator*innen und Forscher*innen im Vorfeld und im Nachgang der 900-Jahr-Feierlichkeiten in Prüfening sowie der 100-Jahrfeier des BLfD 2008, vor allem aber auch durch die zunehmende Gefährdung des Wandmalereibestands zusätzlichen Aufwind erfahren. Schmidt geht auf dieser breiten Basis mit dem neu erschlossenen Bild- und Archivmaterial einer bis dato in dieser Stringenz nicht möglichen Klärung von Fragen wiederkehrender denkmalpflegerischer Dilemmata (Kompromisse produzierende Interessensausgleich- und Moderationsprozesse, gerade im kirchlichen Kontext), des jeweiligen <italic>state of the art</italic> der Beteiligten (Ausbildungsstandards), aber vor allem der zeitgenössischen Rezeption des letztlich »Erreichten« oder besser »Gewordenen« im Synkretismus aus »Barock« und »Romanik«, aus »Wiederherstellung« und »frei gelegtem Original« nach, das laut Generalkonservator Georg Hager »völlig unberührt der Forschung erhalten bleibt« (18.5.1907). Ohne eine Antagonistenrolle zu Hager zu insinuieren, verfolgt Schmidt die Kritik und Rezeption des »Falls Prüfening« anhand der Vor- und Nachkriegsschriften Hans Karlingers und die im Verlauf von mehr als 20 Jahren gewonnenen Überzeugungen Hagers ab 1919. Angesichts des Fehlens einer wissenschaftlichen Ausbildung für Restaurator*innen sowie der noch weit bis in die 1970er Jahre hinein uneinheitlichen konservatorisch-restauratorischen Methoden muss es nicht verwundern, dass Positionen der »Rückrestaurierung« wie »Entrestaurierung« im Purismus der zweiten Nachkriegszeit auch in Regensburg eine andere Art von »Stilreinheit« feierten. Als Fazit und Begründung für die aktuelle Maßnahme (endlich!) bezieht sich Schmidt auf die bereits von Hager beim Tag für Heimatpflege und Heimatschutz in Würzburg und Nürnberg 1928 formulierten Eckpfeiler des »konservatorischen Primates«.Die Einlösung dieses Ziels wird durch Ulrike Paulik und Werner Hollnberger mit einer Chronologie der Instandsetzung zwischen Juni 2002 und April 2019 ohne Emphase dokumentiert. Fachleuten wird dennoch die besondere Anforderung, beginnend mit der Baustelleneinrichtung wie der statischen Sicherung der Türme, der Dachkonstruktion und des Chorbereichs sowie die handwerkliche und konservatorische Herausforderung der Ertüchtigung der barocken Traufgesimse von Lang- und Querhaus unter Erhaltung der romanischen Schwelle klar vor Augen stehen. Das Prinzip »soviel wie nötig und so wenig wie möglich«, durch Bestands- und Zustandserhebungen vor meist rein konservatorischen Maßnahmen ermittelt, zieht sich wie ein roter Faden durch alle Gewerke auch im Innenraum, der schließlich durch eine neue Lüftungs- und Beleuchtungsanlage kontrollierbar und neu erfahrbar wurde.Als ähnlich umsichtig können die Beiträge von Erwin Drexler, Gerhard Zirwas und Gerhard Schlegel zu den statischen Untersuchungen, ihre strukturmechanischen Analysen und der aufeinander abgestimmte Ablauf aller statischen Maßnahmen gelten, die schließlich statische Sicherungsmaßnahmen vermeiden ließen und streng substanzerhaltend ausgerichtet waren. Diese Maxime wird auch durch die minimalinvasiven, begleitenden wie präventiven Maßnahmen, über Langzeitmonitoring noch anzupassenden Konservierungsund Pflegemaßnahmen mit Peter Tureks Beitrag zur Konservierung der romanischen Wandmalereien weiter bestätigt. Die »Kunst« des Verzichts auf Eingriffe wird hier auf einer dreißigjährigen Forschungs- und Arbeitspraxis fußend minimalistisch orchestriert: Beobachtungen zur Kunsttechnologie, Restaurierungsgeschichte und zum Raumklima (Wassereintrag, Kondensatereignisse, Salzbelastung, Mikrobiologie) sowie die Organisation eines Mikromonitoring auf entsprechender Kartierungsgrundlage für eine Nachkontrolle (UV-Fluoreszenzphänomene). Die von Turek formulierten Kriterien für den konservatorischen Umgang mögen unspektakulär erscheinen, doch sie spiegeln unprätentiös das heute erreichbare hohe Niveau und die Souveränität im Umgang mit komplexen Schadensbildern im Bereich »Wandmalerei« wider. Diese Würdigung kann im Falle der von Sebastian Endemann und Kerstin Weinert vorgelegten Dokumentation zur Natursteinkonservierung nahezu wortgleich wiederholt werden. Auch die von Jörg Heindl zusammengefassten Arbeiten am Entwässerungssystem sind vom ganzheitlichen Ansatz geprägt: In enger Abstimmung mit einer archäologischen Fachfirma wurden Entwässerungskanalarbeiten zur Behebung der Dauerfeuchte umgesetzt, eine Neuverlegung von Regenwasser- und Drainageleitungen, die in vielen Teilfragen individuelle, ja maßgeschneiderte Lösungen einforderten.Obwohl neue bodenarchäologische Erkenntnisse aufgrund der eingriffsarm vorgenommenen Öffnungen nur in geringem Maße zu erwarten waren, bietet Silvia Codreanu-Windauer in ihrem Bericht dennoch eine Neubewertung der schon 1912 unternommenen Suche im Chorbereich nach der romanischen Hauptapsis und der kleinen Apsis an der Ostseite des nördlichen Querhausarms an. Bei Grabungen in den Jahren 2001/02 konnten etwa das romanische Paradies im Westen der Klosterkirche sowie im Nordwesten ein Apsisfragment mit Ostmauern dem 12. Jahrhundert zugeordnet werden, das zudem den Ausmaßen der freigelegten Apsis am Querhaus entspricht. Es bildete das Chorhaupt einer ans Paradies angebauten Kapelle, die nun mit einer Länge von circa 12 Metern beschrieben wird.Zuletzt endlich eine Würdigung der schon anfänglich als Schwerpunkte definierten Beiträge: Karl Schnieringers umfassende Aufarbeitung der Befunde der bauvorbereitenden und -begleitenden Bauforschung machten es möglich, bauzeitliche Dachziegel und seltene Fragmente der bauzeitlichen Decke mit polychromen Resten (Dachbalken, Mauerhölzer) zu identifizieren, die an den perspektivischen Mäanderfries im Obergaden angrenzten. Diese Befunde bildeten die Grundlage einer zeichnerischen und ausführlich beschriebenen Rekonstruktion der Dachkonstruktion als 41 Grad geneigtes Sparrendach mit doppelter Ständerkonstruktion – dem nun ältesten nachweisbaren in Bayern. Zudem scheinen sich regionale Bautraditionen des Pfettendaches mit einer wohl von Bischof Otto von Bamberg getroffenen Materialwahl (Eichenbalken) zu verbinden. Beobachtungen zum Baufortschritt legen den nachträglichen Ausbau der Türme beginnend im Süden (wohl 1119 vollendet) nahe und beschreiben die Herausforderung einer nachträglichen Einwölbung des Chores sowie die damit verbundene Konzeptionsänderung beim Dach über der Vierung und des Presbyteriums (wohl ebenfalls auf Bischof Otto zurückgehend) sowie das Meistern der damit verbundenen Herausforderungen. Überlegungen zur Einordnung der Georgskirche als Programm- und Leitbau Bischof Ottos in die Hirsauer Klostergründungen sowie seine Nachfolgebauten mit ihren Dis- bzw. Kontinuitäten (Kloster Biburg und Windberg, Straubinger Peterskirche) stellen auch den Ausgangspunkt für Michael Schmidts stimulierende und kluge Erörterungen über den Mäanderfries dar, der mit Befundfotos und -modellen in seinen am Bau belegten Varianten illustriert und anhand der kunsttechnologischen Beobachtungen der Restauratoren Preis / Preis sowie Peter Turek im Bestand beschrieben wird. Sein ornamentgeschichtlicher Exkurs zum Mäandermotiv von der Antike bis zur Renaissance mündet in der rhetorischen Frage »Dach und Decke – ein System?«. Fußend auf Erkenntnissen Schnieringers zu romanischen Dachüberständen (Traufkasten), die das Motiv des Kranzgesimses antiker Tempelbauten tradierten, rückt Schmidt die antikisierende Motivik des Mäanderfrieses als deren Entsprechung im Innenraum ins Blickfeld. Leider verbietet der hier gebotene Rahmen, aber auch der vom Rezensenten gesetzte Schwerpunkt, die ebenfalls von Michael Schmidt in einem weiteren Beitrag nachvollziehbar vorgeschlagene Neubewertung <italic>des</italic> Prüfeninger Programmbilds, der Wandmalerei zur »Zwei-Schwerter-Lehre«, näher zu beleuchten. Last but not least soll hingegen einer Hoffnung Ausdruck verliehen werden: Wünschenswert wäre bei der anstehenden Generalsanierung der Basilika St. Emmeram, die Bedeutung angewandter Forschung zur Erhaltung mittelalterlicher Wandmalerei mit gleichem Anspruch und gleicher Umsicht wie im Falle St. Georg in Prüfening zu verfolgen und eine zeitgemäße Vermittlung mittelalterlicher Wandmalerei im Weltkulturerbe zu befördern!</div>

<article-title>Die Instandsetzung der ehemaligen Klosterkirche St. Georg in Prüfening</article-title>

Die Instandsetzung der ehemaligen Klosterkirche St. Georg in Prüfening

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<article-title>Industriebauten als Ressource</article-title>

Industriebauten als Ressource

Neue Narrative für das Vogtland (und darüber hinaus)

<div>Der Autor, als langjähriger Landeskonservator von Oberösterreich, Präsident von ICOMOS Österreich und Vizepräsident von ICOMOS International mit Lehrtätigkeiten an mehreren Universitäten seines Landes ein Veteran wie Grandseigneur der Denkmalpflege in der Alpenrepublik, hat aus der Covid-19-Not eine Tugend gemacht. Wie für ihn bezeichnend vertiefte er sich in dieser Situation in komplexere Gedanken darüber, wie die »Kulturidee des Bewahrens« in den gegenwärtigen Krisenzeiten mit ihren tief greifenden Veränderungsprozessen bestehen könne, dabei spürbar getrieben von persönlichem Verantwortungssinn. Da ihm ausdrücklich daran gelegen war, seine facettenreich ausziselierten Überlegungen und Erwägungen möglichst rasch zur Schaffung von Allianzen in sein Umfeld zu implementieren, hat Lipp sich dazu entschlossen, seine ursprüngliche Idee einer umfassenderen Buchpublikation aufzugeben zugunsten der geronnenen Form eines Essays. Das muss für seine Intentionen nicht von Nachteil sein, konnte er doch so in dieser komprimierten Version sein gesellschaftsrelevantes, aus seiner Sicht für das »Überleben« dringliche Anliegen schneller und mit konzentrierterer Intensität publik machen.In Erläuterung des Untertitels seines Essays läutet Lipp seine Ausführungen kurz ein mit einer Definition des Begriffs <italic>Katastrophe, deren Kategorien und Konstanten</italic>. Im Folgekapitel <italic>Was geschieht kulturell</italic> werden solche einschneidenden Ereignisse historisch nachgezeichnet vom Erdbeben in Lissabon 1755, die meist systemverändernden Revolutionen in Europa, über die beiden Weltkriege, aber auch die Studentenrevolten 1968 oder die Ölkrisen 1973 und 1979/80, bis hin zum Anschlag auf das World Trade Center in New York 2001 und schließlich bis zu Corona. Und im Hintergrund ist stets die Klimakrise präsent. In diesen Zusammenhängen wird nicht zuletzt der Frage nachgespürt, wie die Menschen derartige Geschehnisse gedeutet, verarbeitet und für ihr Leben umgesetzt haben. Wichtig ist dem Autor in diesem Kontext der Hinweis auf die »Glorious Revolution« von 1688/89, in deren Verlauf nach seiner Auffassung in der Umwandlung des französischen Geometriegartens zum englischen Landschaftsgarten die Geburtsstunde der »modernen« Kulturidee Denkmalpflege zu verorten sei.Unter der Überschrift <italic>Was passiert systemisch</italic> leitet Lipp seinen Paradeauftritt ein, bei dem er sich schon seit Längerem in der Rolle des nachdenklichen Vordenkers bewährt, wenn nicht auslebt, womit er bei seinen Mitmenschen ein Vorherdenken provozieren will, damit Nachdenken nicht zu einem zu späten und damit ineffizienten Hinterherdenken gerät. Hier intoniert er abermals sein vertrautes Plädoyer, Denkmalpflege und kulturelles Erbe als Fakt innerhalb eines umfangreicheren Systems teils konträrer, teils konstruktiver Interessenslager zu erkennen, um durch differenziertes Analysieren Chancen für Allianzen auszuloten und zu nutzen.Unter dem zur momentanen Pandemiezeit Prioritäten konstituierenden Prädikat »systemrelevant« filtert Lipp mit der Frage <italic>Was ist systemrelevant</italic> den Stellenwert von Kultur im Ranking mit anderen gesellschaftlichen Interessen heraus. Als Destillat ergibt sich für ihn, dass im Rahmen von Kultur der Denkmalpflege in der Außenwahrnehmung durchaus eine hohe Reputation zugebilligt werde, sie im Kräftespiel mit politischen, sozialen, wirtschaftlichen oder auch individuellen Begehrlichkeiten jedoch in der Regel unterlegen ist. Als Ursache dafür macht er die Defizite in der Vermittlung sowohl emotionaler als auch wissenschaftlicher Werte des Gutes Denkmal aus.Mit seziererischer Akribie legt er anschließend die <italic>Faktoren d</italic>[ies]<italic>er Entwicklung</italic> frei, unterteilt in eine sechsphasige Differenzierung (vor Corona) sowie eine Entdifferenzierung (nach Corona). Fazit dieser Ausponderation ist, dass sich die Denkmalpflege nach der ersteren öffentlichkeitswirksamen und letztlich positiven Bilanz zunehmend auf der Verliererseite wiederfindet.In einem intellektuellen Husarenritt gelingt es Lipp danach, unter dem Postulat <italic>Konsequenzen konkret</italic> zunächst die gegen die Infizierung mit Corona dringend gebotenen AHA-Regeln auf die vielfältigen Bedingtheiten herunterzubrechen, unter denen das kulturelle Erbe und die Denkmalpflege existieren müssen. Die Analyse dieser die Gesundheit schützenden Maßgaben in Korrelation zur Denkmalpflege kommt einem Blick in ein Kaleidoskop gleich, bei dem für Letztere deren mannigfache Einzelteile eher trist zusammenpurzeln.Doch bevor sich Trübsal wie bleierner Tau auf die Gemüter von Denkmalpfleger*innen legt, versucht Lipp in seinem Schlusskapitel <italic>Wege in die Zukunft. Eine neue Mythologie?</italic> ein gewisses Maß an Zuversicht zu verbreiten, indem er erneut das Narrativ von Allianzen zum Überleben – nicht nur der Denkmalpflege – beschwört. Dazu stellt er für diese einen Pflichtenkatalog auf, dessen Forderungen im Grunde altbewährte Parameter verkünden. Aber: Richtiges wird bekanntermaßen durch Wiederholung nicht falsch!Der mitunter stakkatohafte, bisweilen auch ein wenig mäandrierende Sprachduktus ist ganz offensichtlich dem missionarischen Drang und der Ungeduld geschuldet, mit denen der Autor sein vitales Anliegen schnellstmöglich zu Papier bringen musste. Seine akademisch ausgefeilten, dicht gefügten und reichlich fremdwörterverliebten Formulierungen erfordern ein konzentriertes, damit aber gleichzeitig gewinnbringendes Lesen, das einem gleichwohl ein deutliches Potenzial an Verstehen sowie Verständnis abverlangt. Wohl deshalb dankt er zwei Mitarbeiterinnen, ihn vor »wortakrobatischen Unverständlichkeiten bewahrt zu haben.«Nicht ganz nachvollziehbar allerdings ist, weshalb Lipp den angehängten Abbildungsteil mit seinen 15 jeweils einseitigen Bildsequenzen auch in deren Titeln anders taktet als den Textteil, obwohl sie dessen Inhalt eindringlich illustrieren sollen. Das Material dazu stammt aus seinem Jahre zurückliegenden Vorlesungsund Vortragsfundus und war (und ist es immer noch) mit seinen oft plakativen, witzigen, bisweilen provokanten Aussagen ein probates Mittel, eine Zuhörerschaft an einem gedanklichen Abdriften zu hindern – hier und jetzt wollen die Bilder anstiften zu kritischem Reflektieren und davon beflügeltem Agieren.Seine ausgeprägte Gabe, namentlich die Denkmalpflege und das kulturelle Erbe in einem umfassenderen Beziehungsgeflecht zu verankern, um daraus strategisch kluge Konzepte für die Theorie und die Praxis zu entwickeln, prägt das Denken und Wirken von Wilfried Lipp spätestens seit seiner Salzburger Habilitationsschrift <italic>Natur – Geschichte – Denkmal. Zur Konstitution und Genese des Denkmalbewußtseins der bürgerlichen Gesellschaft – Identität und Legitimität aus Natur und Geschichte. Paradigmata aus Philosophie, Literatur und bildender Kunst</italic> von 1985 und zieht sich wie ein roter Faden durch viele seiner nachfolgenden Publikationen. Wenn man so will, darf nun dieser Essay als ein Vermächtnis Lipps betrachtet werden, dessen Essenz in Form von Maximen bereits auf dem Cover quasi eingemeißelt ist: <italic>Krisen fordern die Kultur. Kultur fordert Integration. Transformation fordert Opfer. Rettung fordert Allianzen. Hoffnung fordert Narrative.</italic> Wie gelegentlich schon während der Lektüre erinnert man sich zu guter Letzt an die Charakterisierung durch eine ihm wohlgesinnte Kollegin, die Wilfried Lipp als einen der brillantesten Denkmaltheoretiker der Gegenwart würdigt und zugleich beklagt, er sei innerhalb seiner Zunft vielleicht der am wenigsten verstandene.</div>

<article-title>Corona – [Klima] – Denkmalpflege. Ein System im Folgensog der Katastrophen</article-title>

Corona – [Klima] – Denkmalpflege. Ein System im Folgensog der Katastrophen

<div><sec id="j_DKP-2022-1009_s_001"><div>Einleitung und Problemstellung</div>Das Klima historischer Innenräume wird sich durch den Klimawandel langfristig verändern. Bereits während der trockenen Sommer in den Jahren 2018 und 2019 wurde von geringen Luftfeuchten in Kirchen berichtet, vor allem aus dem Raum Mitteldeutschlands.<fn id="j_DKP-2022-1009_fn_001" symbol="1">Die Beobachtungen wurden vom Institut für Diagnostik und Konservierung an Denkmalen in Sachsen und Sachsen-Anhalt e. V. (IDK) sowie dem Landesamt für Denkmalpflege Sachsen (LfDS) gemacht und vor Projektbeginn mündlich kommuniziert.</fn> Halten diese niedrigen Luftfeuchten über einen Zeitraum von mehreren Tagen oder Wochen an, so bedeutet dies vor allem für organische hygroskopische Materialien Stress, in dessen Folge es zu Schäden wie Rissen, Lockerungen oder Substanzverlusten kommen kann.Am Hochaltar der Kirche St. Nicolai in Döbeln lassen sich an den Tafelgemälden Schäden in Form von Schrumpfungen und Rissen erkennen, die mit Veränderungen des Innenraumklimas in Verbindung zu bringen sind. Diese wurden exemplarisch anhand von Musterflächen mittels eines opto-technischen Monitorings untersucht.<fn id="j_DKP-2022-1009_fn_002" symbol="2">Holl, Kristina/Karl, Anne/Bellendorf, Paul: Structured Light Scanning as a Method to Investigate the Effect of Climate Change on Cultural Heritage Items. In: <italic>Studies in Digital Heritage, Conference Proceedings</italic>, London United Kingdom, Nov. 18–19, 2021, S. 79–84.</fn></sec><sec id="j_DKP-2022-1009_s_002"><div>Fallbeispiel Hochaltar St. Nicolai in Döbeln</div>Der zweifach wandelbare Hochaltar in St. Nicolai ist auf das Jahr 1515/16 datiert (<a ref-type="fig" href="#j_DKP-2022-1009_fig_001">Abb. 1</a>).<fn id="j_DKP-2022-1009_fn_003" symbol="3">Dehio, Georg/Bechter, Barbara et al.: <italic>Dehio – Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler / Sachsen Bd. 2: Regierungsbezirke Leipzig und Chemnitz</italic>. Berlin et al. 1998, S. 193; Gurlitt, Cornelius: <italic>Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen. Teil: H. 25., Amtshauptmannschaft Döbeln</italic>. Dresden 1903, S. 20–22.</fn> Er ist 2,85 Meter breit und einschließlich des Gesprenges circa 11 Meter hoch. Für die opto-technischen Untersuchungen richtet sich das Augenmerk auf die beiden inneren Klappflügel der ersten Wandlung. Quer durch die beiden Holztafeln verläuft jeweils ein fast durchgehender Riss. Dieser ist durch die Ausführung bedingt, da die quer verlaufenden Bretter mit Zapfen im Rahmen fixiert sind und sich diese bei Klimaänderungen nicht spannungsfrei verformen können. Die Teilstücke sind weitgehend stabil miteinander verbunden.<fn id="j_DKP-2022-1009_fn_004" symbol="4">Sitte, Wilfried: <italic>04720 Döbeln St. Nicolai Hochaltar von 1515/16, Restauratorische Arbeiten Bericht 2016</italic> (unveröffentlicht). Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, Archiv.</fn> 2016 wurden die Risse stabilisiert, gekittet und retuschiert. Vier Jahre später hatten sich diese als Reaktion auf Veränderungen des Raumklimas erneut geöffnet.Die Risse der beiden Tafeln wurden als Testflächen ausgewählt und zwischen August 2020 und November 2021 insgesamt sechs Mal mit dem Streifenlichtscanner aufgenommen.<fig id="j_DKP-2022-1009_fig_001" position="float" fig-type="figure"><label>1</label><caption>Döbeln, St. Nicolai, Hochaltar, Erste Wandlung</caption><graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_DKP-2022-1009_fig_001.jpg"/></fig></sec><sec id="j_DKP-2022-1009_s_003"><div>Methoden</div>Für die in-situ-Detektion von Oberflächenveränderungen wurde exemplarisch ein opto-technisches Monitoring mittels eines hochauflösenden Strukturlichtscanners (SLS) durchgeführt.<fn id="j_DKP-2022-1009_fn_005" symbol="5">Ein opto-technisches Monitoring kann auch aus der Kombination unterschiedlicher opto-technischer Methoden bestehen, wie z. B. Multispektralaufnahmen, Thermografiebilder und auch 3-D-Scans. Rahrig, Max/Drewello, Rainer/Lazzeri, Andrea: Opto-Technical Monitoring – A standardized methodology to assess the treatment of historical stone surfaces. In: <italic>The International Archives of the Photogrammetry, Remote Sensing and Spatial Information Sciences</italic> 42 (2018), H. 2, S. 945–952.</fn> Beim Scanprozess wird durch die Projektionseinheit ein sich veränderndes Streifenmuster auf die Oberfläche geworfen, welches durch die Digitalkamera der Erfassungseinheit aufgezeichnet wird. Die Oberfläche des Objektes wird so in x-y-z-Koordinaten transferiert; das digitale Abbild besteht also aus einer Vielzahl von einzelnen 3D-Punkten, allerdings ohne Farbwert.Der verwendete Scanner<fn id="j_DKP-2022-1009_fn_006" symbol="6">Für die Scans in Döbeln wurde ein Comet L3D 5M der Firma Carl Zeiss Optotechnik GmbH verwendet.</fn> erlaubt einen Austausch der Objektive, so kann die maximal zu erfassende Fläche variiert werden. Da die Anzahl der Pixel in der Erfassungseinheit konstant bleibt, verändert sich mit der Fläche die Dichte des Geometriemodells.<fn id="j_DKP-2022-1009_fn_007" symbol="7">Die Kamera des verwendeten Comet L3D 5M hat eine Auflösung von 2448 × 2050 Pixel.</fn> Bei einer kleineren Fläche ist die Pixeldichte höher und damit der Abstand zwischen zwei erfassten Punkten geringer und umgekehrt.<fn id="j_DKP-2022-1009_fn_008" symbol="8">Je nach Messfeld variiert das Messvolumen und der 3D-Punktabstand (Messfeld, Messvolumen in mm, 3D-Punktabstand in μm): 800, 750 × 630 × 500, 300; 250, 260 × 215 × 140, 100; 75, 74 × 62 × 45, 30; 45, 45 × 38 × 30, 18</fn> Die Scans in Döbeln wurden mit einem 250er Messfeld aufgenommen.Der hochauflösende Scan mittels SLS hält den geometrischen Zustand der Oberfläche zum Zeitpunkt der Erfassung fest. Scans der Oberfläche zu unterschiedlichen Zeitpunkten ermöglichten somit einen Vergleich von Zuständen in unterschiedlichen klimatischen Situationen. Aufgrund der hohen Auflösung sind Veränderungen im Submillimeterbereich darstellbar. Mittels einer Inspektionssoftware<fn id="j_DKP-2022-1009_fn_009" symbol="9">Die Oberflächenvergleiche wurden mit der Software GOM Inspect, der GOM GmbH berechnet.</fn> können Falschfarbenbilder generiert werden, die die Differenz von zwei Scans visualisieren. Zur besseren Verortung der Oberflächenveränderungen werden diese halbtransparent über einFoto der Originaloberfläche gelegt (vgl. <a ref-type="fig" href="#j_DKP-2022-1009_fig_003">Abb. 3</a>–<a ref-type="fig" href="#j_DKP-2022-1009_fig_004">4</a>)<fn id="j_DKP-2022-1009_fn_010" symbol="10">Die Endbearbeitung erfolgte mit Adobe® Photoshop 2021.</fn>. Die Erfassung des Raumklimas (Temperatur und relative Feuchte), die für die Auswertung der Scans erforderlich ist, erfolgte durch einen Datenlogger, der hinter dem Retabel aufgestellt ist.<fig id="j_DKP-2022-1009_fig_002" position="float" fig-type="figure"><label>2</label><caption>Langzeit-Klimamessung (rot: Temperatur, blau: relative Feuchte), 2003–2018. Ab 2013 wurde die Temperatur im Winter von ca. 9 °C auf ca. 12 °C angehoben. Die grau gestrichelte Linie zeigt die langfristige Reduktion der relativen Feuchten.</caption><graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_DKP-2022-1009_fig_002.jpg"/></fig><fig id="j_DKP-2022-1009_fig_003" position="float" fig-type="figure"><label>3</label><caption>Vergleich der Messungen von Oktober 2020 und März 2021, linke Tafel (links) und rechte Tafel (rechts). Die grün gefärbten Flächen zeigen keine Veränderung, die blau gefärbten Flächen eine Verwölbung nach hinten (links max. 1,5 mm, rechts max. 0,6 mm), die gelben Flächen eine Bewegung nach vorne (links max. 0,6 mm, rechts max. 0,3 mm).</caption><graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_DKP-2022-1009_fig_003.jpg"/></fig><fig id="j_DKP-2022-1009_fig_004" position="float" fig-type="figure"><label>4</label><caption>Vergleich der Messungen von März und Juni 2021, linke Tafel (links) und rechte Tafel (rechts). Die linke Tafel weist insbesondere unterhalb des Risses eine Verwölbung nach hinten von ca. 1,5 mm auf, am Riss ist eine geringe Bewegung nach vorne (0,9 mm) erkennbar. Die rechte Tafel zeigt eine Gegenbewegung nach vorne (max. 0,6 mm).</caption><graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_DKP-2022-1009_fig_004.jpg"/></fig></sec><sec id="j_DKP-2022-1009_s_004"><div>Ergebnisse</div>Das Raumklima von St. Nicolai wurde für den Zeitraum der Messungen (26. August 2020 bis 17. Juni 2021) statistisch ausgewertet. Die Temperatur lag im Mittel bei circa 15 °C (Minimum: 10,6 °C; Maximum: 23,5 °C), die relative Feuchte im Mittel bei 62,2 % r. F. (vgl. <a ref-type="table" href="#j_DKP-2022-1009_tab_001">Tabelle 1</a>). Eine Langzeitklimamessung ab 2003 zeigte, dass die Temperatur ab 2013 speziell im Winter um etwa 3 Kelvin gestiegen war. Dies wirkt sich auf das Feuchteniveau in der Kirche aus, das über den Messzeitraum kontinuierlich abnahm (<a ref-type="fig" href="#j_DKP-2022-1009_fig_002">Abb. 2</a>). Auch die Hitzesommer ab dem Jahr 2017 zeichnen sich in den Klimadaten durch höhere Temperaturen und geringere relative Feuchten ab.<table-wrap id="j_DKP-2022-1009_tab_001" position="float" orientation="portrait"><label>Tabelle 1</label><caption>Auflistung der Tage, an denen die Messkampagnen durchgeführt wurden, sowie die statistische Auswertung der Klimadaten, die im Zeitraum zwischen zwei Messungen hinter dem Tafelgemälde gemessen wurden. In der Tabelle werden jeweils die Werte für den Zeitraum zwischen zwei Messungen dargestellt. Die statistische Auswertung für den gesamten Zeitraum vom 26. August 2020 bis 17. Juni 2021 ist in der letzten Zeile dargestellt.</caption><table frame="hsides" rules="all"><thead><tr><th align="center">Tag der Messung</th><th align="center">Zeitraum der ausgewerteten Klimadaten</th><th align="center"/><th align="center">Minimum</th><th align="center">Mittelwert</th><th align="center">Maximum</th><th align="center">Δ</th></tr></thead><tbody><tr><td align="left">26. August 2020</td><td align="center"/><td align="center"/><td align="center">—</td><td align="center">—</td><td align="center">—</td><td align="center">—</td></tr><tr><td align="left" rowspan="2">20. Oktober 2020</td><td align="left" rowspan="2">26.8.2020 bis 20.10.2020</td><td align="left">Temperatur [°C]</td><td align="center">13,1</td><td align="center">18,5</td><td align="center">23,5</td><td align="center">10,4</td></tr><tr><td align="left">Relative Feuchte [%]</td><td align="center">53,8</td><td align="center">66,9</td><td align="center">71,7</td><td align="center">17,3</td></tr><tr><td align="left" rowspan="2">11. März 2021</td><td align="left" rowspan="2">20.10.2020 bis 11.3.2021</td><td align="left">Temperatur [°C]</td><td align="center">10,6</td><td align="center">13,3</td><td align="center">17,5</td><td align="center">6,9</td></tr><tr><td align="left">Relative Feuchte [%]</td><td align="center">51,1</td><td align="center">63,3</td><td align="center">73,6</td><td align="center">22,5</td></tr><tr><td align="left" rowspan="2">17. Juni 2021</td><td align="left" rowspan="2">11.3.2021 bis 17.6.2021</td><td align="left">Temperatur [°C]</td><td align="center">11,9</td><td align="center">15,7</td><td align="center">22,5</td><td align="center">6,8</td></tr><tr><td align="left">Relative Feuchte [%]</td><td align="center">52,0</td><td align="center">57,9</td><td align="center">64,0</td><td align="center">6,1</td></tr><tr><td align="left" colspan="2" rowspan="2">Statistische Auswertung aller Daten</td><td align="left">Temperatur [°C]</td><td align="center">10,6</td><td align="center">15,1</td><td align="center">23,5</td><td align="center">12,9</td></tr><tr><td align="left">Relative Feuchte [%]</td><td align="center">51,1</td><td align="center">62,2</td><td align="center">73,6</td><td align="center">22,5</td></tr></tbody></table></table-wrap>Der Vergleich der Scans der beiden Tafeln vom 20. Oktober 2020 und 12. März 2021 zeigt starke Reaktionen der beiden Tafelgemälde auf das Klima (<a ref-type="fig" href="#j_DKP-2022-1009_fig_003">Abb. 3</a>). Grün gefärbte Flächen weisen keine Veränderungen auf, gelbe bis rote Flächen haben sich – entsprechend der in der Skala angegebenen Größe – nach vorne gewölbt, hellblaue bis dunkelblaue Flächen haben sich nach hinten bewegt. In der linken Tafel treten mit maximal 1,5 Millimeter die größten Bewegungen auf, die rechte weist Bewegungen von maximal 0,6 Millimeter auf. Aus der statistischen Analyse des Raumklimas (Tabelle 1) geht hervor, dass in diesem Zeitraum eine Feuchtedifferenz von 22,5 % (Minimum: 51,1 %; Maximum: 73,6 %) und ein Temperaturunterschied von 6,9 Kelvin vorlag.Vom Frühjahr bis Sommer zeigt sich eine Gegenbewegung zu der im Herbst und Winter, jedoch ist diese weniger stark ausgeprägt (<a ref-type="fig" href="#j_DKP-2022-1009_fig_004">Abb. 4</a>). Die Klimaschwankungen sind mit 6,4 % r. F. in diesem Zeitraum geringer (Minium: 52 %; Maximum: 64 %).Der Messzeitraum von August 2020 bis Juni 2021 wies keine Trockenperiode auf und zeigt die gleiche maximale Differenz der relativen Feuchte wie der Zeitraum zwischen Oktober 2020 und März 2021. Dies legt nahe, dass insbesondere der Zeitraum der Heizperiode einen entscheidenden Einfluss auf das Raumklima hat und dass das Tafelgemälde darauf besonders an den Rissen mit Quell- und Schwindprozessen reagiert.</sec><sec id="j_DKP-2022-1009_s_005"><div>Schlussfolgerung / Ausblick</div>An den beiden untersuchten polychromen Holztafeln zeigten sich Reaktionen auf den jahreszeitlichen Verlauf des Raumklimas. Dabei verformte sich die linke Tafel stärker als die rechte. Die größten Reaktionen traten im Zeitraum zwischen Herbst und Frühjahr auf (siehe <a ref-type="fig" href="#j_DKP-2022-1009_fig_003">Abb. 3</a>). Die entsprechende Gegenreaktion findet in der zweiten Jahreshälfte statt, jedoch weniger stark ausgeprägt (<a ref-type="fig" href="#j_DKP-2022-1009_fig_004">Abb. 4</a>).Für die Erhaltung des Hochaltars spielt im Hinblick auf künftige Veränderungen durch den Klimawandel die Heizstrategie eine große Rolle. Eine Verringerung der Temperatur im Winter von derzeit minimal 18 °C auf 15 °C würde in diesem Zeitraum eine Erhöhung der relativen Feuchte in der Kirche um ca. 10 % r. F. bewirken. Dies hätte eine puffernde Wirkung zur Folge, von der das Altarretabel bis über die künftig trockener werdenden Sommermonate profitieren würde.Das Monitoring mittels SLS ist eine zerstörungsfreie und sensible Methode zur Untersuchung von historischen Oberflächen, die empfindlich auf klimatische Schwankungen reagieren. So kann das individuelle Risiko eines Objekts abgeschätzt und Maßnahmen zur Verbesserung der Situation entwickelt werden. Des Weiteren kann die Methode zur langfristigen Überprüfung der Schadensfreiheit genutzt werden.<fn id="j_DKP-2022-1009_fn_011" symbol="11">Die Untersuchungen des Altarretabels von St. Nicolai in Döbeln fand im Rahmen des von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Projekts »Schadensrisiko für Kulturgut aufgrund zu geringer relativer Luftfeuchte in Innenräumen von national wertvollen Kulturgütern. Analyse und Empfehlungen zum Umgang hinsichtlich der Auswirkungen der globalen, anthropogenen Klimaerwärmung« (AZ35598-45) statt. Die Messungen vor Ort, wie auch die Auswertungen wurden von Anne Karl, Kristina Holl und Leander Pallas durchgeführt. Beim Restaurator Wilfried Sitte bedanken wir uns für die Unterstützung bei fachlichen Fragen zum Altar sowie für die Bereitstellung der Klimadaten. Dem Landesamt für Denkmalpflege Sachsen – Frau Christine Kelm – danken wir für die Diskussionen vor Ort.</fn></sec></div>

<article-title>Opto-technisches Monitoring am Hochaltar in Döbeln – klimainduzierte Bewegungen sichtbar machen</article-title>

Opto-technisches Monitoring am Hochaltar in Döbeln – klimainduzierte Bewegungen sichtbar machen

<article-title>Das Denkmal als Ressource?!</article-title>

{"article-title":"Das Denkmal als Ressource?!"}

<div>In den 1960er und 1970er Jahren wurden so viele Universitäten gegründet und bestehende Institutionen ausgebaut wie nie zuvor und nie wieder danach. Die Bauten sind geprägt durch kühne architektonische Konzepte und neue Technologien. Jede Anlage ist Zeuge einer Zeit, in der der Glaube an ein stetiges Wachstum noch ungebrochen war. Diese – aus heutiger Perspektive – naive Überzeugung spiegelt sich auch in den Entwurfskonzepten wider: Die meisten Campusuniversitäten beruhen auf einem strengen Raster, das den Grundstein für die kommende Entwicklung legen sollte. Diese Raster und der Sichtbeton sind mitverantwortlich dafür, dass es Großstrukturen dieser Zeit in der öffentlichen Akzeptanz noch immer schwer haben. Sie gelten in weiten Teilen der Bevölkerung weiterhin als Bausünden. Die bauliche Weiterentwicklung dieser Campusareale und der Umgang mit der Bausubstanz sind trotz ähnlicher Grundkonzepte und ähnlicher Probleme sehr unterschiedlich.<fn id="j_DKP-2022-1010_fn_001" symbol="1">Der Beitrag beruht auf der im September 2020 an der Universität Innsbruck abgegebenen Masterarbeit: Krenz, Lydia Constanze: <italic>Campus-Bauten der 60er und 70er Jahre und ihre bauliche Weiterentwicklung</italic>. Masterarbeit Innsbruck 2020.</fn> Der Befund erstreckt sich von Leerstand
<fn id="j_DKP-2022-1010_fn_002" symbol="2">Beispiel: Philipps Universität Marburg, Campus auf den Lahnbergen.</fn> über mehr oder minder gelungene Instandsetzungen bis hin zur Klassifizierung als Kulturdenkmal.Die Entwicklung der Universität Konstanz kann in diesem Zusammenhang als positives Beispiel gelten. Sie wurde 1966 gegründet und bis circa 1983 errichtet. 2012 hat das Landesamt für Denkmalpflege sie inklusive ihrer Außenanlagen in die Denkmalliste der Stadt Konstanz aufgenommen.<fn id="j_DKP-2022-1010_fn_003" symbol="3">Kieser, Clemens: Harvard am Bodensee. Die Universität Konstanz als gebaute Utopie. In: <italic>Denkmalpflege in Baden-Württemberg</italic> 43 (2014), H. 4, S. 268–273, hier S. 268.</fn> Der Gesamtplan beruht auf einem einheitlichen Raster, das punktuell aufgebrochen wird, wodurch spannende räumliche Situationen entstehen. Alle Gebäude sind miteinander durch Brücken und Gänge verbunden, die die Universität zu einem kompakten und dennoch komplexen Gefüge machen.Seit ihrer Fertigstellung hat sich die Anlage stetig vergrößert. Auffallend ist, dass bei allen neu hinzugekommenen Bauten<fn id="j_DKP-2022-1010_fn_004" symbol="4">Ausnahmen bilden das Nebengebäude ZS sowie das Kinderhaus KH.</fn> das ursprüngliche Entwurfskonzept und dessen Grundprinzipien – Raster, Verbindungen, Farb- und Höhenkonzept – beachtet wurden und als Grundlage für die Weiterentwicklung der Universität dienten. Die Beibehaltung des Konzeptes führte dazu, dass die bauzeitlichen Ideen trotz des Zuwachses an Neubauten noch immer spürbar sind und die Universität Konstanz 30 Jahre nach Bauabschluss als Kulturdenkmal anerkannt werden konnte: Auch die Gebäude, die vor der Denkmalausweisung 2012 hinzugekommen sind, wären aus denkmalfachlicher Sicht genehmigungsfähig gewesen.<fn id="j_DKP-2022-1010_fn_005" symbol="5">Mienhardt, Frank: Eine moderne Reformuniversität als Kulturdenkmal. Zur Erfassung der Universität Konstanz und zu ihrem denkmalpflegerischen Umgang. In: <italic>Denkmalpflege in BadenWürttemberg</italic> 44 (2015), H. 1, S. 8–12, hier S. 12.</fn> Das spricht nicht nur für die vorausschauende Arbeit der ursprünglichen Architekten, sondern vor allem für das Amt Vermögen und Bau in Konstanz, das für die bauliche Verwaltung verantwortlich ist. Den Mitarbeitenden ist es durch die direkte oder indirekte Auswahl von Architekturbüros sowie mittels eigener Planungen gelungen, das Areal über die Jahrzehnte hinweg qualitätvoll weiterzuentwickeln und die Wertschätzung gegenüber dem Bestand aufrechtzuerhalten (<a ref-type="fig" href="#j_DKP-2022-1010_fig_001">Abb. 1</a>, <a ref-type="fig" href="#j_DKP-2022-1010_fig_002">2</a>).<fig id="j_DKP-2022-1010_fig_001" position="float" fig-type="figure"><label>1</label><caption>Konstanz, Universität, Gebäude V, Entwurf und Ausführung: Schaudt Architekten Konstanz, 2009/10, Aufnahme 2020</caption><graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_DKP-2022-1010_fig_001.jpg"/></fig><fig id="j_DKP-2022-1010_fig_002" position="float" fig-type="figure"><label>2</label><caption>Konstanz, Universität, Gebäude Y1 (links), Entwurf: Vermögen und Bau Amt Konstanz, 2007/08, Aufnahme 2020</caption><graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_DKP-2022-1010_fig_002.jpg"/></fig>Der Campus Lichtwiese der Technischen Universität Darmstadt, der zwischen 1967 und 1978 errichtet wurde, beruht ebenfalls auf einem Raster, besteht aber im Unterschied zur Universität Konstanz aus Solitären, die locker verteilt in einem großzügigen, an den benachbarten Stadtwald anschließenden parkartigen Areal liegen. Anders als in Konstanz wurde, nur einzelne Bauten, das Architekturgebäude und die Maschinenbauhallen, als Kulturdenkmale ausgewiesen. Eigens für die TU Darmstadt und den Campus Lichtwiese wurde das »Darmstädter Bausystem« entwickelt, dessen Vorbild das bekanntere »Marburger Bausystem« war. Das Staatliche Hochschulbauamt entwarf ein Fertigteilsystem, welches ein hohes Maß an Flexibilität in Konstruktion, Erweiterung und Gestaltung bot.<fn id="j_DKP-2022-1010_fn_006" symbol="6">Süberkrüb, Peter: <italic>Hochschulbauten in Darmstadt. Bericht über die bauliche Entwicklung. 100 Jahre Technische Hochschule Darmstadt</italic>. Darmstadt 1977, S. 18.</fn>Trotzdem hat es auf dem Campus Lichtwiese nur eine minimale Ergänzung im Darmstädter Bausystem gegeben: Das Bauingenieurgebäude wurde im Erdgeschoss um eine Achse erweitert (<a ref-type="fig" href="#j_DKP-2022-1010_fig_003">Abb. 3</a>). Dieser unauffällige und trotzdem ablesbare Eingriff verdeutlicht jedoch die Haltung, mit der den Gebäuden auf der Lichtwiese begegnet wird: An vielen Stellen lässt sich beobachten, dass auch an nicht denkmalgeschützte Gebäude denkmalpflegerische Maximen angelegt werden. Sowohl am Bauingenieur- als auch am Maschinenbaugebäude und der Mensa lassen sich behutsame Eingriffe feststellen, die im Rahmen des Denkmalschutzes vermutlich nicht hätten realisiert werden können, jedoch die Gebäude in ihrem historischen Wert und ihrer architektonischen Qualität anerkennen. Obwohl es sich beispielsweise bei der Sanierung des Chemiegebäudes nicht um eine Instandsetzung der alten Fluchtbalkonkonstruktion, sondern um deren Austausch handelt, zeigt die Maßnahme ein generelles Interesse an der Wahrung des historischen Erscheinungsbildes des Bauwerks. Die Erfahrung einer Ideenfortschreibung, wie sie bei dieser Sanierung gemacht wurde, kann bei der Instandsetzung weiterer Gebäude von großem Interesse sein.<fig id="j_DKP-2022-1010_fig_003" position="float" fig-type="figure"><label>3</label><caption>Darmstadt, TU Darmstadt Campus Lichtwiese, Bauingenieurgebäude 1968–1970, Sanierung: m+ Architekten Darmstadt, 2011–2013, Aufnahme 2020</caption><graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_DKP-2022-1010_fig_003.jpg"/></fig>Wie auch in Konstanz ist die positiv zu beurteilende Entwicklung am Campus Lichtwiese direkt den Zuständigen zuzuschreiben. Die eigene Bauverwaltung der TU Darmstadt beweist ein hohes Maß an Fingerspitzengefühl im Umgang mit dem historischen Bestand, egal ob denkmalgeschützt oder nicht.Der Campus Technik der Universität Innsbruck wurde 1969/70 errichtet und beruht auf einem strengen Raster von 7,5 × 7,5 Meter. Sowohl die beiden Institutsgebäude als auch die Nebengebäude wurden aus diesem Raster heraus entwickelt, wodurch der Campus eine einheitliche Ensemblewirkung erhielt. Den Architekten gelang es, aus diesem Raster heraus eine vielschichtige und fein ausdifferenzierte Anlage zu planen. Ein Denkmalwert wurde gleichwohl vonseiten der Fachbehörden nicht gesehen. Zwischen 2013 und 2017 führte eine Sanierung zu einer starken Beeinträchtigung des ursprünglichen Entwurfskonzeptes. Obwohl man die Grundidee des Campus als Basis einer weiteren Entwicklung hätte nutzen können, wurde die einheitliche Platzgestaltung im Raster aufgegeben; der Campus ist so als Ensemble nicht mehr fassbar. Die beiden Institutsgebäude wurden zwar konstruktiv erhalten, die zeittypische Fluchtbalkonkonstruktion jedoch durch neue »intelligente Hüllen« ersetzt (<a ref-type="fig" href="#j_DKP-2022-1010_fig_004">Abb. 4</a>). Die ursprünglichen Bauten sind in ihrer heutigen Gestalt nicht wiederzuerkennen.<fig id="j_DKP-2022-1010_fig_004" position="float" fig-type="figure"><label>4</label><caption>Innsbruck, Universität, Gebäude Technische Wissenschaften 1967–1970, Sanierung: ATP Innsbruck, 2013/14, Aufnahme 2021</caption><graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_DKP-2022-1010_fig_004.jpg"/></fig>Neben dem fehlenden Denkmalschutz lässt sich auch die Verwaltungsstruktur als Ursache für den weitreichenden Eingriff anführen. Seit den 1990er Jahren werden die österreichischen Universitätsbauten durch eine bundeseigene Immobiliengesellschaft (BIG) verwaltet, deren Ziel die Gewinnoptimierung ist. Die Erneuerung des Campus Technik zeigt, dass der Erhalt sowie die Ertüchtigung eines historischen, nicht denkmalgeschützten, Bestands innerhalb einer gewinnorientierten Verwaltungsstruktur offenbar nicht möglich ist.An der Gesamtmaßnahme lässt sich auch ablesen, wie eindimensional der Begriff Nachhaltigkeit in der Baubranche noch immer ausgelegt wird. Die Menge der eingesparten Heizenergie ist Messlatte für den Erfolg einer Sanierung, die verbaute Gebäudetechnik Gradmesser für einen angeblichen Stand der Technik. Architektonische Qualitäten, graue Energie, recycelbare Baumaterialien, eine lange Lebensdauer und die reale Nutzbarkeit der Räumlichkeiten spielen hingegen eine untergeordnete bis gar keine Rolle. Die »intelligenten Hüllen« von heute werden uns aufgrund ihrer Komplexität in wenigen Jahrzehnten vor genauso große Herausforderungen stellen, wie die Bauten der 1970er Jahre es heute tun.Denkmalgerechte Instandsetzungen sind enorm zeit- und planungsintensiv und scheinen dadurch teurer als konventionelle Lösungen zu sein. Dabei stellen sie maßgeschneiderte Konzepte dar, die vorhandene Potenziale voll ausschöpfen und Bauwerke jeder Zeitstellung gegenwarts- und zukunftsfähig machen können. Die Nachhaltigkeitsdebatte innerhalb der Baubranche sollte Baudenkmale nicht länger undifferenziert als »Klotz am Bein« verunglimpfen, sondern die Denkmalpflege vielmehr als A nlaufstelle für Fachwissen, Konzepte und Methoden nutzen.Auch wenn der Umgang mit gebauten Strukturen der 1970er Jahre heute als schwierig gilt, zeigen die Beispiele in Konstanz und Darmstadt, wie man ursprüngliche Entwurfsprinzipien für die Weiterentwicklung nutzen kann. Es überrascht, dass obwohl die Bausysteme durch ihre große Anpassungsfähigkeit und Erweiterbarkeit ideal für universitäre Bauaufgaben geeignet sind, zum Zeitpunkt der tatsächlichen Erweiterung bei keiner Campusuniversität auf das ursprüngliche System zurückgegriffen wurde.<fn id="j_DKP-2022-1010_fn_007" symbol="7">Langenberg, Silke: Flexibilität und Zweckmäßigkeit. Das Marburger Bausystem. In: <italic>Wolkenkuckucksheim</italic> 17 (2012), H. 32, S. 76–85, hier S. 81 f.</fn> Der Vergleich der drei Campusuniversitäten macht deutlich, dass die unterschiedlichen Verwaltungsstrukturen die Entwicklung und den heutigen Zustand maßgeblich verantworten. Sie sind somit ausschlaggebend dafür, ob die bereits vorhandenen Potenziale und Ressourcen erkannt und genutzt werden können.</div>

<article-title>Campusuniversitäten der 1960er und 1970er Jahre und ihre bauliche Weiterentwicklung</article-title>

Campusuniversitäten der 1960er und 1970er Jahre und ihre bauliche Weiterentwicklung

<div>Mit dem klimapolitisch motivierten Beschluss zum beschleunigten Ausstieg aus der Braunkohleverstromung stehen die bisher vom Abbau und der Verwertung des Rohstoffs geprägten Regionen in Deutschland – erneut – vor einem gewaltigen Transformationsprozess. Dies stellt auch die Denkmalpflege vor große Herausforderungen. Hatte die großräumige Erschließung unterirdischer Braunkohlevorkommen im Tagebau in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch den tiefgreifenden Umbau historisch gewachsener Kulturlandschaften bedeutet und war dieser mit dem unwiederbringlichen Verlust zahlreicher, zum<fig id="j_DKP-2022-1007_fig_001" position="float" fig-type="figure"><label>1</label><caption>Der südwestliche Teil des rheinischen Braunkohlereviers mit den Tagebauen Inden (links) und Hambach (rechts), die Ortslage Merzenich-Morschenich rot umkreist, 2021</caption><graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_DKP-2022-1007_fig_001.jpg"/></fig>Teil jahrhundertealter Baudenkmale und ganzer Ortschaften einhergegangen, so geht es heute auch um einen verantwortungsvollen Umgang mit den baulichen Zeugnissen der Braunkohleindustrie, die inzwischen längst selbst zu einem Gegenstand denkmalpflegerischer Betrachtung geworden sind. Den gesetzlich begründeten Auftrag zum Schutz, zur Pflege sowie zur sinnvollen Nutzung besonders prägender Objekte und Elemente dieses zwiespältigen und in Teilen widersprüchlichen Erbes der Kohlereviere gilt es wiederum in Einklang zu bringen mit den politisch weitreichenden Forderungen nach einer Transformation der Gesellschaft hin zu einer »nachhaltigen« und »ressourcenschonenden« Lebensweise.Diese schwierige Aufgabe stellt sich auch für die an die Tagebaue Hambach, Inden und Garzweiler angrenzenden Städte und Gemeinden im rheinischen Braunkohlerevier (Abb. 1), das nach dem Willen der nordrhein-westfälischen Landesregierung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten »zu einer innovativen, klimagerechten und nachhaltigen Region«<fn id="j_DKP-2022-1007_fn_001" symbol="1">Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen: <italic>Leitentscheidung 2021: Neue Perspektiven für das Rheinische Braunkohlerevier</italic>. Beschluss der Landesregierung vom 23. März 2021, S. 2, <ext-link ext-link-type="uri" xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="http://https://www.wirtschaft.nrw/sites/default/files/asset/document/leitentscheidung_2021_0.pdf">https://www.wirtschaft.nrw/sites/default/files/asset/document/leitentscheidung_2021_0.pdf</ext-link> (abgerufen am 4.2.2022).</fn> entwickelt werden soll. Vor diesem Hintergrund verschieben sich derzeit im Tagebauvorland die Prioritäten hinsichtlich der verfügbaren Ressourcen: Weg von der Ressource Braunkohle, deren Nutzbarmachung sich bisher alles untergeordnet hatte, hin zu den noch erhaltenen naturräumlichen Ressourcen wie Wälder und Gewässer, aber auch zu den Menschen der Region und ihrem Wohn- und Lebensraum. Denn trotz der politischen Kursänderung im Großen ist aktuell immer noch für fünf Ortschaften am Westrand des Tagebaus Garzweiler offen, ob sie für den Braunkohletagebau abgebrochen werden müssen. Mittlerweile jedoch mehren sich die Rufe nach einem Erhalt der verbliebenen Dörfer, die längst auch in den Blickpunkt der Klimaschutzbewegung geraten sind.<fn id="j_DKP-2022-1007_fn_002" symbol="2">Das überregionale Aktionsbündnis »Alle Dörfer bleiben« setzt sich seit 2018 für den Erhalt aller noch vom Abbruch bedrohten Dörfer im rheinischen, mittel- und ostdeutschen Revier ein.</fn> Selbst der neue Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst (CDU), hat unlängst die Absicht erklärt, »so viele Dörfer wie möglich«<fn id="j_DKP-2022-1007_fn_003" symbol="3">Regierungserklärung des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen Hendrik Wüst MdL, 3. November 2021, S. 27, <ext-link ext-link-type="uri" xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="http://https://www.land.nrw/sites/default/files/asset/document/2021-11-03_regierungserklarung_mp_hendrik_wust.pdf(abgerufen">https://www.land.nrw/sites/default/files/asset/document/2021-11-03_regierungserklarung_mp_hendrik_wust.pdf(abgerufen</ext-link> am 4.2.2022).</fn> zu erhalten.Definitiv nicht mehr abgebrochen werden muss Morschenich (Abb. 2), ein kleines Straßendorf, nur wenige Hundert Meter entfernt gelegen vom Tagebau Hambach und jenem gleichnamigen Wald, der als »Hambi« zum überregionalen Symbol der Klimaprotestbewegung der vergangenen Jahre avancierte und dabei deutschlandweit Bekanntheit erreicht hat. Noch zu Beginn des Jahres 2020 war die Lage eine andere: Nachdem die Bewohner*innen bereits 2015 weitgehend umgesiedelt waren, stand der Abbruch des Dorfes für den heranrückenden Tagebau unmittelbar bevor. Doch mit dem Beschluss zum Erhalt der letzten Reste des benachbarten Waldes hat sich auch für Morschenich das Blatt in buchstäblich letzter Sekunde noch einmal gewendet – der Ort muss dem Tagebau nicht weichen und kann bestehen bleiben. In der Leitentscheidung der Landesregierung zum rheinischen Braunkohlerevier vom 23. März 2021 nimmt er eine herausgehobene Stellung ein: Er soll als »Ort der Zukunft« eine »nachhaltige und innovative Nutzung« erfahren.<fn id="j_DKP-2022-1007_fn_004" symbol="4"><italic>Leitentscheidung 2021</italic> (wie Anm. 1), S. 34.</fn><fig id="j_DKP-2022-1007_fig_002" position="float" fig-type="figure"><label>2</label><caption>Merzenich-Morschenich, Blick in Richtung Tagebau Hambach und gleichnamigen Forst, 2021</caption><graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_DKP-2022-1007_fig_002.jpg"/></fig>Schon jetzt beschäftigt zahlreiche Akteur*innen aus Wissenschaft und Politik die Frage, wie Morschenich neu erfunden und aus dem Ort ein »Reallabor« des Strukturwandels mit Vorbildcharakter für das gesamte rheinische Revier gemacht werden kann. Vorangetrieben wird das ambitionierte Projekt vor allem vom Bürgermeister der zuständigen Gemeinde Merzenich, der auch die Planungshoheit über den Ort obliegt. Eine zweite gewichtige Akteurin der Erneuerung Morschenichs ist die RWE Power AG, bergbautreibender Energiekonzern und Eigentümerin der meisten Grundstücke im Ort. Gemäß Leitentscheidung soll der Konzern die Kommune aktiv dabei unterstützen, den Ort zu reaktivieren.<fn id="j_DKP-2022-1007_fn_005" symbol="5">Ebd., S. 35.</fn> Noch ist offen, mit welchen I deen sich RWE in den Prozess einbringen wird. Was Morschenich für seine Zukunft bislang noch fehlt, sind vor allem neue Bewohner*innen – denn seit ihrer Umsiedlung steht der Ort weitgehend leer. Für viele der Alt-Morschenicher*innen wiederum ist es eine traumatische Erfahrung, sich der Zwecklosigkeit ihrer Umsiedlung und einer möglichen Wiederbelebung der alten Heimat durch Dritte bewusst zu werden. Neben der Forderung nach einer Rückkaufoption wird dabei vereinzelt auch der Wunsch nach einem Schlussstrich unter dem schmerzhaften Umsiedlungsprozess durch einen Totalabriss laut.Dass sich innerhalb dieser komplexen Gemengelage auch das LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland (LVR-ADR) engagiert und sich vor gut einem Jahr initiativ in den Prozess der Zukunftswerdung des Ortes eingebracht hat, bedarf einer gewissen Erklärung. Formal agiert das LVR-ADR hierbei in seiner gesetzlich begründeten Funktion als Beraterin der Gemeinde im Rahmen einer frühzeitigen Beteiligung an den Planungen zur Ortserneuerung. Inhaltlich aber geht sein Engagement an dieser Stelle über den klassischen Auftrag der Denkmalpflege hinaus: Im Fokus stehen nicht allein die (wenigen) eingetragenen Baudenkmale des Ortes, sondern sein bauliches Erbe als Ganzes sowie die Frage, welche Rolle dieses im »Ort der Zukunft« spielen kann. Wie lässt sich der historische Bestand erhalten und an die Anforderungen des 21. Jahrhunderts anpassen? Und worin besteht eigentlich sein spezifischer Wert für das gesellschaftspolitische Ziel einer nachhaltigen Lebensweise? Gerade die Denkmalpflege mit der ihr ureigenen Expertise in Sachen Inwertsetzung und Werterhalt und ihrer Erfahrung auf den Gebieten des Bauens im Bestand, der Reparatur, der Um- und Weiternutzung kann einen substanziellen Beitrag dazu leisten. Zudem bietet sich für die Denkmalpflege hier die Gelegenheit, bei dem derzeit vielleicht drängendsten politischen Metathema konstruktiv und öffentlichkeitswirksam in Erscheinung zu treten.Unter dem programmatischen Titel »Zurück in die Zukunft« hat das LVR-ADR in einem ersten Schritt eine umfängliche denkmalpflegerische Analyse des Ortes erarbeitet.<fn id="j_DKP-2022-1007_fn_006" symbol="6">Huntscha, Philipp F. / Kröning, Fabian / Graff, Anna: <italic>Zurück in die Zukunft. Eine denkmalpflegerische Analyse zur Dorferneuerung von Morschenich</italic>. LVR-ADR, 2021, <ext-link ext-link-type="uri" xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="http://https://denkmalpflege.lvr.de/media/de/denkmalpflege/publikationen/online_publikationen/LVR_Morschenich_Ortsanalyse_NOV2021_WEB_barrierefrei.pdf">https://denkmalpflege.lvr.de/media/de/denkmalpflege/publikationen/online_publikationen/LVR_Morschenich_Ortsanalyse_NOV2021_WEB_barrierefrei.pdf</ext-link> (abgefufen am 4.2.2022).</fn> Neben einer denkmalfachlichen Bewertung des Baubestands im Einzelnen<fn id="j_DKP-2022-1007_fn_007" symbol="7">Zusätzlich zu den wenigen bereits ausgewiesenen Kulturdenkmalen im Ort konnten dabei bislang zehn weitere Objekte als Baudenkmale im Sinne des Denkmalschutzgesetzes benannt werden. Daneben benennt die Analyse aber auch »erhaltenswerte« Objekte und solche, die lediglich »strukturgebend« für das historische Ortsbild bzw. den Dorfgrundriss sind.</fn> ging es vor allem darum, die übergeordneten Strukturen und Typologien im historischen Ortsbild offenzulegen – vom Wegenetz und der Parzellenstruktur über die ortstypischen Haus- und Hofformen, die sozialen Funktionen des Dorfraums bis hin zu den vielfältigen Bezügen zwischen Siedlungsraum und umgebender Kulturlandschaft. Die Studie wirbt für ihren Erhalt und legt zugleich den Grund für ihre behutsame Anpassung und Weiterentwicklung im Rahmen der Erneuerung von Morschenich als einem »Ort der Zukunft«. Darüber hinaus versteht das LVR-ADR die Analyse als ein Pilotprojekt, mit dem exemplarisch aufgezeigt werden soll, ob und wie man auf der Grundlage denkmalpflegerischer Erfassung und Erfahrung zur Revitalisierung ländlicher Orte im Allgemeinen beitragen kann.Die Vereinbarkeit dieser erweiterten denkmalpflegerischen Zielsetzung mit dem politischen Ziel einer »nachhaltigen« Ortserneuerung ist zunächst eine Frage der Vermittlung. Denn dass mit dem Fortbestand des Dorfes und seiner überlieferten Bausubstanz auch die darin gebundene graue Energie erhalten bleibt und denkmalpflegerisches Handeln damit per se nachhaltig ist, ist zwar in der Fachwelt allgemein bekannt – in der Praxis jedoch muss für diese Sichtweise immer wieder aufs Neue geworben werden. Ressourcenschonend ist auch die Verwendung lang erprobter regionaler Materialien – vor allem Backstein, Holz oder Lehm –, die in einem Großteil der Objekte vor Ort verbaut sind. Ihr Lebenszyklus ließe sich durch Weiternutzung und Reparatur verlängern, ohne dass große Summen an Herstellungs- und Entsorgungskosten entstünden.<fig id="j_DKP-2022-1007_fig_003" position="float" fig-type="figure"><label>3</label><caption>Merzenich-Morschenich, Oberstraße, ortstypische Bebauungsstruktur (farbig hervorgehoben), auf der Basis eines Fotos von 1957</caption><graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_DKP-2022-1007_fig_003.jpg"/></fig>Vor allem aber versteht sich die Denkmalpflege als Anwältin einer historisch zu begründenden kulturellen Nachhaltigkeit: Die vor Ort erhaltenen Bauwerke geben Auskunft über die Geschichte des Dorfes, seiner Bewohner*innen und der Region, sie sind begehbare und begreifbare Speicher eines historischen Wissens, die sich als eine Ressource im kulturellen Sinne verstehen lassen. Auf den Wert dieser Ressource aufmerksam zu machen und das ihr inhärente Wissen und Nutzungspotenzial für den »Ort der Zukunft« zugänglich zu machen, ist eine Aufgabe, zu der gerade die Denkmalpflege in besonderer Weise befähigt ist.Dass Morschenichs bauliche Substanz schon von jeher zukunftsfähig war, zeigt sich etwa an den ortstypisch kleinteiligen Haus- und Hofformen des 19. Jahrhunderts, die sich bereits in der Vergangenheit als flexibel zu nutzende und zu erweiternde Strukturen bewährt haben (Abb. 3). Insbesondere die rückwärtige Hofbebauung erfuhr im Laufe der Jahre einen stetigen Weiter-, Um- oder Rückbau und passte sich so den sich wandelnden Bedürfnissen ihrer Bewohnerschaft an: Ehemals landwirtschaftlich genutzte Gebäude wurden zu Wohn- oder Gewerbezwecken umgebaut, Nutzgärten wiederum zu privaten Wohngärten umfunktioniert. Warum sollten sich diese Strukturen nicht auch weiterhin bewähren und kommende Herausforderungen meistern, etwa den Wandel hin zu einer wieder stärkeren Verbindung von Wohnen und Arbeiten, wie er sich im Zuge der Corona-Pandemie derzeit verstärkt abzeichnet? Hier werden exempla risch ganz allgemeine Fragen des Lebens im ländlichen Raum berührt.<fig id="j_DKP-2022-1007_fig_004" position="float" fig-type="figure"><label>4</label><caption>Merzenich-Morschenich, Unterstraße 56–68, Typenwohnhäuser der 1950er Jahre für Angestellte in der Braunkohleindustrie, 2021</caption><graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_DKP-2022-1007_fig_004.jpg"/></fig>Für einen Erhalt und eine behutsame Weiterentwicklung des Ortes spricht nicht zuletzt die Geschichte des Ortes selbst. Sie steht beispielhaft für viele Dörfer im Rheinischen Revier und ihr gebrochenes, durch den Braunkohlebergbau geprägtes Erbe – und eignet sich genau deshalb als Identifikationsangebot für die erneut im Umbruch befindliche Region.Nirgendwo wird dies deutlicher als am nördlichen, heute dem Tagebau zugewandten Ausgang des Dorfes. Dort entstanden um 1950 sieben Typenwohnhäuser für Bergarbeiter (Abb. 4), die als letzte Zeugen von einem fast vergessenen Kapitel in der Geschichte des rheinischen Braunkohlenbergbaus erzählen: von der experimentellen Förderung des Rohstoffs unter Tage. Noch während des Zweiten Weltkriegs hatte die »Rheinische Braunkohlentiefbaugesellschaft mbH« – Vorgängerin der heutigen RWE – mit dem Bau einer Schachtanlage in dem historischen Waldgebiet nördlich von Morschenich begonnen (Abb. 5). Mit dem Bau der Siedlungshäuser für die wachsende Belegschaft des Bergwerks wuchs im Ort zugleich die Hoffnung auf einen Entwicklungssprung vom bäuerlich geprägten Dorf zu einem steuerstarken Industriestandort. Mit der obertägigen Erschließung der Braunkohle in den 1970er Jahren änderte sich die Perspektive für den Ort dann allerdings schlagartig. Längst hatte sich die technisch aufwendige Förderung unter Tage als unrentabel erwiesen, die Versuchsschachtanlage war bereits 1955 eingestellt worden. Nun fand sich der Ort auf einmal im geplanten Abbaugebiet des Tagebaus wieder. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass gerade in der Aussicht des eigenen Verschwindens der Grund dafür auszumachen ist, dass sich die vorindustrielle Struktur des Dorfes bis heute überdurchschnittlich gut erhalten hat: Zur selben Zeit, als viele andere Dörfer im Rheinland ihren ländlichen Charakter durch den Bau raumgreifender Einfamilienhaussiedlungen zusehends verloren, kam in Morschenich diese bauliche Entwicklung zum Erliegen.<fig id="j_DKP-2022-1007_fig_005" position="float" fig-type="figure"><label>5</label><caption>Merzenich-Morschenich, Fördergerüst der zweiten Schachtanlage des Braunkohletiefbauwerks »Union 103«, 1953</caption><graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_DKP-2022-1007_fig_005.jpg"/></fig>Heute besteht die Chance, sich der Geschichte des Ortes und seiner brachliegenden Ressourcen erneut anzunehmen, sie sich in einem nachhaltigen Sinne zu eigen zu machen und damit einer neuen Zukunft zuzuführen. Mit der Analyse des LVR-ADR ist eine erste Grundlage geschaffen, die sich nicht allein an die planende Gemeinde Merzenich richtet, sondern an alle im Umfeld der Erneuerung von Morschenich beteiligten Akteur*innen. Maßgeblich durch das Engagement des Bürgermeisters der Gemeinde Merzenich motiviert, beginnt die Auseinandersetzung mit dem Ort aktuell aus verschiedenen Perspektiven: etwa durch Studierende der Fachhochschule Aachen, die im regelmäßigen Austausch mit dem LVR-ADR verschiedene städtebauliche Szenarien für den »Ort der Zukunft« ausloten; parallel dazu bespielt die Gemeinde temporär wieder einzelne Gebäude im Ort, wie den ehemaligen Kindergarten oder die Dorfkirche St. Lambertus. In jedem Fall hat der frühzeitige und öffentlichkeitswirk same Einstieg der Denkmalpflege in den Prozess der Ortserneuerung schon jetzt dazu geführt, dass künftig niemand mehr den »Ort der Zukunft« ohne seine Vergangenheit denken kann. Vor allem der Bürgermeister hat sich diese Losung auf die Fahnen geschrieben und tritt inzwischen grundsätzlich für eine Planung mit dem Bestand ein.<fig id="j_DKP-2022-1007_fig_006" position="float" fig-type="figure"><label>6</label><caption>Erkelenz-Keyenberg (am Tagebau Garzweiler), Borschemicher Straße, Blick in Richtung der Kirche Heilig Kreuz, 2014</caption><graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_DKP-2022-1007_fig_006.jpg"/></fig>Gleichwohl ist die Zukunft von Morschenich noch längst nicht ausgemacht. Für die Denkmalpf lege liegt die besondere Herausforderung – und zugleich Chance – in der Beteiligung an einem längerfristigen Findungsprozess, in dem am Beispiel eines Dorfes das derzeit gesamtgesellschaftlich virulente Thema Nachhaltigkeit in seinen verschiedenen Facetten verhandelt wird. Wird dieser Weg weiterhin erfolgreich beschritten, so kann er ein Modell auch für die übrigen noch vom Tagebau bedrohten Dörfer im Rheinischen Braunkohlerevier sein (Abb. 6). Über ihr Schicksal soll bis Ende 2026 entschieden werden.<fn id="j_DKP-2022-1007_fn_008" symbol="8">Presseerklärung des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, 23. März 2021, <ext-link ext-link-type="uri" xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="http://https://www.wirtschaft.nrw/pressemitteilung/landeskabinett-beschliesst-neue-leitentscheidung">https://www.wirtschaft.nrw/pressemitteilung/landeskabinett-beschliesst-neue-leitentscheidung</ext-link> (abgerufen am 4.2.2022).</fn></div>

<article-title>Ein Dorf als Ressource</article-title>

Ein Dorf als Ressource

Morschenich und der Strukturwandel im rheinischen Braunkohlerevier

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<div><sec id="j_DKP-2022-1004_s_001"><div>Die materielle Ressource Kulturdenkmal</div>Die Erhaltung und Pflege oder wissenschaftliche Erforschung und Dokumentation eines Kulturdenkmals setzen ein öffentliches Interesse aus geschichtlichen, wissenschaftlichen, künstlerischen oder städtebaulichen Gründen voraus: So steht es im Denkmalschutzgesetz Rheinland-Pfalz. Diese Denkmalwertkategorien umfassen in ihrer Zuschreibung durch die Gesellschaft den soziokulturellen Sektor der Nachhaltigkeit. Wie aber lässt sich dieser ausbalancieren mit einer ökologischen Nachhaltigkeitsbetrachtung eines denkmalgeschützten Gebäudes? Diese Fragestellung, die auf den konservativen Kern des dem Erhalt und der Pflege des baulichen Kulturerbes verpflichteten gesetzlichen Auftrags von Denkmalschutz und Denkmalpflege abzielt, wird immer drängender. Dem denkmalpflegerischen Erhaltungsgedanken sind Umweltschutz und Ressourcenschonung immanent. Gleichwohl spiegelt sich der Begriff der Nachhaltigkeit nicht in den Denkmalschutzgesetzen wider. Er ist vielmehr niedergelegt in der umfassenderen Leitvorstellung der Raumordnung, die den Gedanken der Nachhaltigkeit bei allen an die räumliche Entwicklung gerichteten wirtschaftlichen und sozialen Ansprüchen gegenüber ökologischen Raumforderungen abzuwägen hat. Ihr Ziel ist eine großräumig ausgewogene Ordnung mit gleichwertigen Lebensverhältnissen in den Teilräumen.Uns beschäftigen zunehmend die vermeintlich aus Gründen der Ökologie an die Denkmalpflege herangetragenen Ansprüche energiewirtschaftlicher Belange, die sich bereits in einigen novellierten Denkmalschutzgesetzen der Länder niedergeschlagen haben.<fn id="j_DKP-2022-1004_fn_001" symbol="1">Niedersächsisches Denkmalschutzgesetz (2011): § 7 (2) Grenzen der Erhaltungspflicht; Gesetz zum Schutz der Denkmale Schleswig-Holstein (2014): § 13 Verfahren bei genehmigungspflichtigen Maßnahmen.</fn> Diese sind dem gesellschaftlichen Bewusstwerdungsprozess global begrenzter Ressourcen und der spürbaren Überlastung der Umwelt sowie ganz aktuell der Abhängigkeit der Energieversorgung von russischen Gas- und Öllieferungen geschuldet. Trotz der selbstverständlichen Zuschreibung des systemimmanenten Umweltschutzes an die Denkmalpflege ist die Frage der materiellen Ressource Kulturdenkmal bislang ausgeblendet worden und harrt noch der komplexen ökobilanzierten Antwort durch berechnete standardisierte Fakten. Wegen des notwendigen Vermittlungsauftrags der Grundsätze von Denkmalschutz und Denkmalpflege muss der Begriff der Nachhaltigkeit Aufnahme in die Denkmalschutzgesetze der Länder finden.<fig id="j_DKP-2022-1004_fig_001" position="float" fig-type="figure"><caption>Teilabbruch eines historischen Gebäudes im Rahmen eines Bebauungsplanverfahrens, 2021</caption><graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_DKP-2022-1004_fig_001.jpg"/></fig>Beim Thema der Nachhaltigkeit stellt sich darüber hinaus die Frage nach der Identitätsstiftung des gebauten Erbes und dessen Wirkmacht auf den sozialen Zusammenhalt. Sind es die emotionale und/oder die wissensbasierte Zuwendung zum gemeinsamen Kulturerbe in der Konkretisierung des öffentlichen Interesses, die die soziokulturelle Funktion von Denkmalschutz und Denkmalpflege begründen?</sec><sec id="j_DKP-2022-1004_s_002"><div>Interdisziplinär zu bewältigende Aufgaben</div>Im Jahr 2010 wurden von vielen in der Denkmalpflege engagierten Institutionen beim damals zuständigen Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung (BMVBS) eine qualifizierte Beratung und denkmalverträgliche Förderpolitik zur Steigerung der baulichen Energieeffizienz im geschützten Gebäudebestand gefordert. Mit der Einführung des »Energieberaters für Baudenkmale« als verpflichtendem Partner zur Beantragung entsprechender Fördermittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für Denkmale und der Einführung insbesondere des Programms »Effizienzhaus Denkmal« war das Ziel zwei Jahre später nach zahlreichen Verhandlungsrunden mit dem Bund erreicht. Bei der 2014 erfolgten Anpassung der Förderbedingungen für Kulturdenkmale und sonstiger besonders erhaltenswerter Bausubstanz wurde die vertraglich zugesicherte Beteiligung der Partnerorganisationen seitens des zuständigen Bundesministeriums jedoch nicht eingehalten, ebenso wenig ab 2021 die fachliche Mitsprache der Koordinierungsstelle für »Energieberater für Baudenkmale« bei der Ausgestaltung der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) des zuständigen Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWI). Nach wie vor beziehen sich die Forderungen des aktuell geltenden Gebäudeenergiegesetzes (GEG) auf die verpflichtende Begrenzung des Energiebedarfs im Gebäudebetrieb. In der letzten Novellierung der Förderrichtlinien (BEG) für das seit 2012 eingeführte Fördersegment »KfW-Effizienzhaus Denkmal« wird überdies keine Mindestanforderung an die energetische Qualität der wärmeabgebenden Gebäudehülle mehr gestellt. Der Fokus liegt aktuell allein auf der Einhaltung des Anforderungswertes an die Gesamtenergieeffizienz, den Jahresprimärenergiebedarf, als einzuhaltendem Grenzwert. Die Zielwert-Regelung wurde gekippt. Mit dieser Regelung war es möglich, auch dann eine Förderung zu erhalten, wenn aufgrund der Auflagen des Denkmalschutzes bzw. zum Schutz sonstiger besonders erhaltenswerter Bausubstanz oder auch aus bauphysikalischen Gründen die Anforderungswerte nicht erreicht werden konnten.<fig id="j_DKP-2022-1004_fig_002" position="float" fig-type="figure"><caption>Mainz, Rathaus, Demontage der norwegischen Marmorplattenverkleidung aus Porsgrunn im Zuge der Fassadenerneuerung, 2021</caption><graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_DKP-2022-1004_fig_002.jpg"/></fig>Unabhängig davon wurden zusätzlich sogenannte Erneuerbare-Energien-Klassen (EE-Klassen) mit Zusatzanforderungen an den Einsatz von Wärme aus erneuerbaren Energien und Nachhaltigkeitsklassen (NH-Klassen) eingeführt. Mit den Nachhaltigkeitsklassen finden nun auch ökologische, ökonomische und soziokulturelle Aspekte im gesamten Lebenszyklus Beachtung. Die Nachhaltigkeitsklassen sind allerdings nur für Neubauten und bestehende – also auch für denkmalgeschützte – Nichtwohngebäude anwendbar. Auf bestehende Wohngebäude findet das Programm noch keine Anwendung.Allerdings gab es – anders als es bei Einführung des Programms 2012 vom Fördermittelgeber kommuniziert wurde – im Vorfeld keine Modellbetrachtungen zu den Konsequenzen dieser Neujustierung für das jeweilige Denkmal und dessen Eigentümer*innen. Die nach wie vor offene Fragestellung der Denkmalpflege an die neuen Förderkriterien bezieht sich auf eine mögliche Kompensation durch die Einbindung erneuerbarer Energien für die Versorgung der geschützten Bestandsgebäude im Betrieb und auf den Einfluss damit verbundener technischer Gebäudeausrüstung.<fig id="j_DKP-2022-1004_fig_003" position="float" fig-type="figure"><caption>Reduce-Reuse-Recycle? Bauschutt anstelle einer substanzschonenden Abnahme der Platten für eine mögliche Zweitverwendung, 2021</caption><graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_DKP-2022-1004_fig_003.jpg"/></fig><fig id="j_DKP-2022-1004_fig_004" position="float" fig-type="figure"><caption>Rekonstruktion in Zeiten der EnEV: Dämm-Detail eines Neubaus der Frankfurter »neuen Altstadt« entsprechend den geltenden Vorschriften, 2017</caption><graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_DKP-2022-1004_fig_004.jpg"/></fig>Seit mehr als einem Jahrzehnt hat sich die Denkmalpflege trotz ihres Beharrens auf die Berücksichtigung der in der Substanz enthaltenen grauen Energie mit der Tatsache arrangiert, dass nur der energetische Aufwand während der Nutzung des geschützten Gebäudes im Fokus der Betrachtung und Förderung steht. Mit zunehmendem Druck auf die Anpassungspflicht des kulturellen baulichen Erbes – sei es durch Etablierung der erneuerbaren Energien im Wirkungsbereich der Baudenkmale, durch technische Gebäudeausstattung oder durch massive energetische Aufrüstung der Gebäudehüllen – wird offensichtlich, dass sich die Denkmalpflege weit über ihre Disziplingrenze hinaus mit der Konkretisierung der substanzimmanenten Leistung der grauen Energie beschäftigen und sich umfassend mit dem soziokulturellen Nachhaltigkeitsphänomen der Baudenkmale empirisch auseinandersetzen muss. Mit dem denkmalfachlichen Blick auf die notwendigen Ressourcen für nachfolgende Generationen gilt es, aus den Erfahrungen einer Reparaturgesellschaft vergangener Epochen zu lernen und zu analysieren, welche realen Aspekte der Nachhaltigkeit sich bei der heutigen Klima- und Förderpolitik in der Baubranche ausfindig machen lassen und welche vermeintlich dem Klimaschutz zugeschriebenen Aktivitäten der energiewirtschaftlichen Transformation als nicht nachhaltig und kulturschädlich bilanziert werden müssen.Die jeweilige Ökobilanz eines geschützten und genutzten Einzelobjekts in Relation zu einem Referenzgebäude, dessen Kriterien es noch zu definieren gilt, dürfte je nach Baualter und Komponenten der materiellen gewachsenen Substanz im Bestand sehr unterschiedlich ausfallen, so die These.<fig id="j_DKP-2022-1004_fig_005" position="float" fig-type="figure"><caption>Teilzerstörte Brücke in Rech im Ahrtal, um deren Erhalt als Kulturdenkmal und Ressource es vehemente Diskussionen gibt, 2022</caption><graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_DKP-2022-1004_fig_005.jpg"/></fig>Die genannten Änderungen förderrechtlicher Anforderungen an die Gesamtenergieeffizienz von Kulturdenkmalen hat einzelne Vertreter*innen der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger (VDL) und der Wissenschaftlich-Technischen Arbeitsgemeinschaft für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege (WTA) innerhalb der Koordinierungsstelle »Energieberater für Baudenkmale« veranlasst, die Erstellung einer Studie zu initiieren. Im Rahmen dieser Metastudie sollen Publikationen zusammengetragen und ausgewertet werden, die Ergebnisse von Ökobilanzierungen und darüber hinaus von Nachhaltigkeitsbetrachtungen zu Maßnahmen für die Erhöhung der Gesamtenergieeffizienz unter Nutzung erneuerbarer Energien an Kulturdenkmalen beinhalten. Ziel ist es, einen Überblick darüber zu bekommen, welche Universitäten, Forschungseinrichtungen sowie Architektur- und Ingenieurbüros sich mit Ökobilanzierungen und Nachhaltigkeitsbetrachtungen zu Maßnahmen für die Verbesserung der Gesamtenergieeffizienz von Kulturdenkmalen beschäftigen. Darüber hinaus soll ersichtlich werden, an welchen Kulturdenkmalen diese Betrachtungen durchgeführt wurden und mit welchen Ergebnissen. Weiterhin ist von Interesse, welche Bewertungssysteme dabei zum Einsatz kommen und welche Stärken bzw. Schwächen diese bei der Bewertung von Kulturdenkmalen zeigen. Auf der Grundlage dieser Metastudie können der Stand des Wissens zum Thema Ökobilanzierungen bzw. Nachhaltigkeitsbetrachtungen an Kulturdenkmalen zusammengefasst und noch offene Fragen zur Bewertung des Beitrages von Kulturdenkmalen zum nachhaltigen Bauen differenziert formuliert werden.In einem weiteren Schritt wollen die Vertreter*innen der VDL und der WTA gemeinsam mit Projektpartner*innen aus der Wissenschaft ein Forschungsprojekt beantragen, das systematisch verschiedene Möglichkeiten der denkmalverträglichen, energetischen Ertüchtigung einschließlich des Einsatzes von erneuerbaren Energien an Kulturdenkmalen unterschiedlichen Baualters mit unterschiedlichen baukonstruktiven Eigenschaften über den gesamten Lebenszyklus durchspielt. Als Ergebnis soll herausgearbeitet werden, inwieweit Kulturdenkmale einen Beitrag zum nachhaltigen Bauen und damit zum Schutz der natürlichen Ressourcen und des Klimas leisten können.Mit den Ergebnissen dieser wissenschaftlich fundierten Untersuchung können die Belange der Denkmalpflege zukünftig wieder stärker in die Diskussionen zu geplanten Änderungen der Förderrichtlinien der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) sowie bei Änderungen des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) eingebracht werden. Zudem kann auf dieser Grundlage eine gezieltere Beratung von Denkmaleigentümern und Planern erfolgen.</sec><sec id="j_DKP-2022-1004_s_003"><div>Ressource Denkmal im Klimawandel: Erfahrungen aus der Praxis</div>Die Dynamik der Jahrhunderthochwasserereignisse im Ahrtal, belegt in Schriftquellen seit dem 15. Jahrhundert und insbesondere für die Fluten in den Jahren 1804 und 1910 konkreter beschrieben, hat mit der katastrophalen Flut im Juli 2021 einen traurigen Höchststand mit vielen menschlichen Opfern erreicht. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten hat sich auch die Direktion Landesdenkmalpflege der Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) in Rheinland-Pfalz nach der Flut gemeinsam mit vielen Ehrenamtlichen für die betroffenen Denkmalobjekte und deren Eigentümer engagiert. Die Anliegen von Denkmalschutz und Denkmalpflegestehen aktuell einer traumatisierten Bevölkerung in einer devastierten Kulturlandschaft gegenüber, eine neue Erfahrung. Wie steht es um Identitätsstiftung und Berücksichtigung historischer Bauzeugnisse im Rahmen des Wiederaufbaus? Die intensivsten und strittigsten Diskussionen werden über die historischen denkmalgeschützten Brücken im Ahrtal geführt. Ihnen wird aufgrund ihrer stauenden Wirkung das Ausmaß der verheerenden Flutwelle in den Siedlungsbereichen angelastet. Seit Jahrzehnten versäumter Hochwasserschutz, verfehlter Naturschutz, eine unangepasste Forstwirtschaft und falsche Siedlungspolitik werden in der Diskussion vor Ort angesichts der traumatischen Ereignisse verdrängt. Der Streit um Abriss oder Erhalt der landschaftsprägenden steinernen Bogenbrücken – die meisten großartige Ergebnisse der Heimatschutzbemühungen im Wiederaufbau nach der Flut 1910 – spaltet die Ortsgemeinschaften. Für regelhafte Verfahren stehen wenig Zeit und Raum zur Verfügung, sind die Brücken doch elementare Bausteine der notwendigen neuen Verkehrsinfrastruktur im Ahrtal. Es bleibt das aktuelle Fazit: Der Erhalt der historischen Brückenkonstruktionen im Sinn einer wohl erst mittelfristig wieder als identitätsstiftend akzeptierten Ressource Denkmal wird nur möglich sein, wenn sich das öffentliche Interesse diesen baulichen Zeugnissen mit Nachdruck zuwendet und eine Abwägung gegenüber anderen Interessen, hier dem Hochwasserschutz, für den Belang des Denkmalschutzes positiv ausfällt.</sec></div>

<article-title>Denkmalschutz und Nachhaltigkeit</article-title>

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<div>Die Beschleunigung der Energiewende steht im Fokus der politischen Agenda. Dem jüngsten IPCC-Bericht vom 4. April zufolge steigt der CO2 Ausstoß nach wie vor an. Die größten Einsparmöglichkeiten werden im energieeffizienten Wohnen gesehen, was den schon bestehenden Druck auf den historischen Gebäudebestand nochmals erhöht. Eine Problemverschärfung ist mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine eingetreten, der Europa schmerzhaft an seine Abhängigkeit von russischem Gas erinnert. Auch aus politischen und emotionalen Gründen streben viele Menschen »Klimafreiheit« durch erneuerbare Energien an.Schon einmal hat sich <italic>Die Denkmalpflege</italic> mit dem Verhältnis von Klimaschutz und Denkmalschutz befasst. 2012 stand die Abwehr der drohenden Schädigung und »Verschandelung« von Architektur und Kulturlandschaft durch Gebäudedämmungen, PV-Anlagen und Windkrafträder im Vordergrund. Die Autoren dieses Heftes nähern sich dem Thema grundsätzlicher und positionieren die Denkmalpflege in der aktuellen Nachhaltigkeitsdebatte. Allen Beiträgen gemeinsam ist das Besinnen auf die ureigene Kompetenz der Disziplin und ihrer Objekte: Denkmale binden zwar seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten graue Energie und sind schon aus dieser Warte Klimaschützer ersten Ranges. Vor allem aber sind sie <italic>Denkmale</italic>, vielschichtige Geschichts-, Kultur- und Wissensressourcen, die aktiv zentrale Funktionen in unserer Gesellschaft wahrnehmen. Mehr noch: Der Umgang mit ihnen hat die »Methode Denkmalpflege« ausgebildet, eine lang erprobte Nachhaltigkeitsstrategie, deren Übertragung auf einen größeren historischen Baubestand auch aus Sicht des Klimaschutzes Chancen birgt.Birgitta Ringbeck stellt die verschiedenen Qualitäten des Kulturerbes als Ressource heraus und beklagt, dass es in Deutschland – anders als auf internationaler Ebene – noch immer nicht gelungen sei, sein Potenzial für Anpassungsstrategien zu adressieren und in den nationalen Klimaschutzgesetzen und -programmen zu verankern.Roswitha Kaiser und Silke Vollmann brechen das Thema auf den denkmalpflegerischen Alltag zwischen Gebäudeenergiegesetz und KfW-Förderklassen herunter und widmen sich der notwendigen Ökobilanzierung der »materiellen Ressource Kulturdenkmal« durch berechnete standardisierende Fakten.Leo Bockelmann und Hans-Rudolf Meier warnen die Denkmalpflege aufgrund von Beobachtungen im Umgang mit dem industriellen Erbe im Vogtland, in eine »Nachhaltigkeitsfalle« zu tappen, in der denkmalpflegerische Anliegen eindimensional auf die Ressourceneffizienz beschränkt und die Vielschichtigkeit ihrer Bedeutungsebenen preisgegeben werden.Am Beispiel des Dorfes Morschenich diskutieren Fabian Kröning und Philipp F. Huntscha die Übertragbarkeit denkmalpflegerischer Ansätze auf die Revitalisierung ländlicher Orte im Allgemeinen. Einen ähnlichen Gedankengang entwickelt Lydia Constanze Krenz, die aus einem Vergleich der Campusuniversitäten Konstanz, Darmstadt und Innsbruck folgert, dass es denkmalpflegerische Konzepte sind, die architektonische Potenziale voll ausschöpfen und Bauwerke jeder Zeitstellung gegenwarts- und zukunftsfähig machen können.Die augenfälligsten Schäden zeitigt der Klimawandel in Gärten und Forsten. Hartmut Troll öffnet den Blick auf die Gartendenkmalpflege und schildert Maßnahmen und Hintergründe von Anpassungsstrategien im Schlossgarten Schwetzingen am Beispiel der Gehölze.Die Nachricht vom Tode Tilmann Breuers hat uns erst kurz vor Drucklegung erreicht. Ein Nachruf auf den hoch geschätzten Kollegen wird Teil des kommenden Heftes 2/2022 sein.Den Leser*innen wird aufgefallen sein, dass <italic>Die Denkmalpflege</italic> jüngst ihrer Plastikhaut entstiegen ist. Von dieser Ausgabe an bietet sie als E-Journal auch eine ressourcenschonende Alternative zum (geliebten) Papier.Für die RedaktionMELANIE MERTENS</div>

<article-title>Vorwort</article-title>

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<article-title>Im Baumgarten der Denkmalpflege</article-title>

Im Baumgarten der Denkmalpflege

Historische Gärten in der Klimakrise

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<sec id="j_dkp-2022-1004_s_001"><div>Die materielle Ressource Kulturdenkmal</div>
Die Erhaltung und Pflege oder wissenschaftliche Erforschung und Dokumentation eines Kulturdenkmals setzen ein öffentliches Interesse aus geschichtlichen, wissenschaftlichen, künstlerischen oder städtebaulichen Gründen voraus: So steht es im Denkmalschutzgesetz Rheinland-Pfalz. Diese Denkmalwertkategorien umfassen in ihrer Zuschreibung durch die Gesellschaft den soziokulturellen Sektor der Nachhaltigkeit. Wie aber lässt sich dieser ausbalancieren mit einer ökologischen Nachhaltigkeitsbetrachtung eines denkmalgeschützten Gebäudes? Diese Fragestellung, die auf den konservativen Kern des dem Erhalt und der Pflege des baulichen Kulturerbes verpflichteten gesetzlichen Auftrags von Denkmalschutz und Denkmalpflege abzielt, wird immer drängender. Dem denkmalpflegerischen Erhaltungsgedanken sind Umweltschutz und Ressourcenschonung immanent. Gleichwohl spiegelt sich der Begriff der Nachhaltigkeit nicht in den Denkmalschutzgesetzen wider. Er ist vielmehr niedergelegt in der umfassenderen Leitvorstellung der Raumordnung, die den Gedanken der Nachhaltigkeit bei allen an die räumliche Entwicklung gerichteten wirtschaftlichen und sozialen Ansprüchen gegenüber ökologischen Raumforderungen abzuwägen hat. Ihr Ziel ist eine großräumig ausgewogene Ordnung mit gleichwertigen Lebensverhältnissen in den Teilräumen.
Uns beschäftigen zunehmend die vermeintlich aus Gründen der Ökologie an die Denkmalpflege herangetragenen Ansprüche energiewirtschaftlicher Belange, die sich bereits in einigen novellierten Denkmalschutzgesetzen der Länder niedergeschlagen haben.<fn id="j_dkp-2022-1004_fn_001" symbol="1">Niedersächsisches Denkmalschutzgesetz (2011): § 7 (2) Grenzen der Erhaltungspflicht; Gesetz zum Schutz der Denkmale Schleswig-Holstein (2014): § 13 Verfahren bei genehmigungspflichtigen Maßnahmen.</fn> Diese sind dem gesellschaftlichen Bewusstwerdungsprozess global begrenzter Ressourcen und der spürbaren Überlastung der Umwelt sowie ganz aktuell der Abhängigkeit der Energieversorgung von russischen Gas- und Öllieferungen geschuldet. Trotz der selbstverständlichen Zuschreibung des systemimmanenten Umweltschutzes an die Denkmalpflege ist die Frage der materiellen Ressource Kulturdenkmal bislang ausgeblendet worden und harrt noch der komplexen ökobilanzierten Antwort durch berechnete standardisierte Fakten. Wegen des notwendigen Vermittlungsauftrags der Grundsätze von Denkmalschutz und Denkmalpflege muss der Begriff der Nachhaltigkeit Aufnahme in die Denkmalschutzgesetze der Länder finden.
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<caption>Teilabbruch eines historischen Gebäudes im Rahmen eines Bebauungsplanverfahrens, 2021</caption>
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Beim Thema der Nachhaltigkeit stellt sich darüber hinaus die Frage nach der Identitätsstiftung des gebauten Erbes und dessen Wirkmacht auf den sozialen Zusammenhalt. Sind es die emotionale und/oder die wissensbasierte Zuwendung zum gemeinsamen Kulturerbe in der Konkretisierung des öffentlichen Interesses, die die soziokulturelle Funktion von Denkmalschutz und Denkmalpflege begründen?
</sec>
<sec id="j_dkp-2022-1004_s_002"><div>Interdisziplinär zu bewältigende Aufgaben</div>
Im Jahr 2010 wurden von vielen in der Denkmalpflege engagierten Institutionen beim damals zuständigen Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung (BMVBS) eine qualifizierte Beratung und denkmalverträgliche Förderpolitik zur Steigerung der baulichen Energieeffizienz im geschützten Gebäudebestand gefordert. Mit der Einführung des »Energieberaters für Baudenkmale« als verpflichtendem Partner zur Beantragung entsprechender Fördermittel der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für Denkmale und der Einführung insbesondere des Programms »Effizienzhaus Denkmal« war das Ziel zwei Jahre später nach zahlreichen Verhandlungsrunden mit dem Bund erreicht. Bei der 2014 erfolgten Anpassung der Förderbedingungen für Kulturdenkmale und sonstiger besonders erhaltenswerter Bausubstanz wurde die vertraglich zugesicherte Beteiligung der Partnerorganisationen seitens des zuständigen Bundesministeriums jedoch nicht eingehalten, ebenso wenig ab 2021 die fachliche Mitsprache der Koordinierungsstelle für »Energieberater für Baudenkmale« bei der Ausgestaltung der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) des zuständigen Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWI). Nach wie vor beziehen sich die Forderungen des aktuell geltenden Gebäudeenergiegesetzes (GEG) auf die verpflichtende Begrenzung des Energiebedarfs im Gebäudebetrieb. In der letzten Novellierung der Förderrichtlinien (BEG) für das seit 2012 eingeführte Fördersegment »KfW-Effizienzhaus Denkmal« wird überdies keine Mindestanforderung an die energetische Qualität der wärmeabgebenden Gebäudehülle mehr gestellt. Der Fokus liegt aktuell allein auf der Einhaltung des Anforderungswertes an die Gesamtenergieeffizienz, den Jahresprimärenergiebedarf, als einzuhaltendem Grenzwert. Die Zielwert-Regelung wurde gekippt. Mit dieser Regelung war es möglich, auch dann eine Förderung zu erhalten, wenn aufgrund der Auflagen des Denkmalschutzes bzw. zum Schutz sonstiger besonders erhaltenswerter Bausubstanz oder auch aus bauphysikalischen Gründen die Anforderungswerte nicht erreicht werden konnten.
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<caption>Mainz, Rathaus, Demontage der norwegischen Marmorplattenverkleidung aus Porsgrunn im Zuge der Fassadenerneuerung, 2021</caption>
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Unabhängig davon wurden zusätzlich sogenannte Erneuerbare-Energien-Klassen (EE-Klassen) mit Zusatzanforderungen an den Einsatz von Wärme aus erneuerbaren Energien und Nachhaltigkeitsklassen (NH-Klassen) eingeführt. Mit den Nachhaltigkeitsklassen finden nun auch ökologische, ökonomische und soziokulturelle Aspekte im gesamten Lebenszyklus Beachtung. Die Nachhaltigkeitsklassen sind allerdings nur für Neubauten und bestehende – also auch für denkmalgeschützte – Nichtwohngebäude anwendbar. Auf bestehende Wohngebäude findet das Programm noch keine Anwendung.
Allerdings gab es – anders als es bei Einführung des Programms 2012 vom Fördermittelgeber kommuniziert wurde – im Vorfeld keine Modellbetrachtungen zu den Konsequenzen dieser Neujustierung für das jeweilige Denkmal und dessen Eigentümer*innen. Die nach wie vor offene Fragestellung der Denkmalpflege an die neuen Förderkriterien bezieht sich auf eine mögliche Kompensation durch die Einbindung erneuerbarer Energien für die Versorgung der geschützten Bestandsgebäude im Betrieb und auf den Einfluss damit verbundener technischer Gebäudeausrüstung.
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<caption>Reduce-Reuse-Recycle? Bauschutt anstelle einer substanzschonenden Abnahme der Platten für eine mögliche Zweitverwendung, 2021</caption>
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<caption>Rekonstruktion in Zeiten der EnEV: Dämm-Detail eines Neubaus der Frankfurter »neuen Altstadt« entsprechend den geltenden Vorschriften, 2017</caption>
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Seit mehr als einem Jahrzehnt hat sich die Denkmalpflege trotz ihres Beharrens auf die Berücksichtigung der in der Substanz enthaltenen grauen Energie mit der Tatsache arrangiert, dass nur der energetische Aufwand während der Nutzung des geschützten Gebäudes im Fokus der Betrachtung und Förderung steht. Mit zunehmendem Druck auf die Anpassungspflicht des kulturellen baulichen Erbes – sei es durch Etablierung der erneuerbaren Energien im Wirkungsbereich der Baudenkmale, durch technische Gebäudeausstattung oder durch massive energetische Aufrüstung der Gebäudehüllen – wird offensichtlich, dass sich die Denkmalpflege weit über ihre Disziplingrenze hinaus mit der Konkretisierung der substanzimmanenten Leistung der grauen Energie beschäftigen und sich umfassend mit dem soziokulturellen Nachhaltigkeitsphänomen der Baudenkmale empirisch auseinandersetzen muss. Mit dem denkmalfachlichen Blick auf die notwendigen Ressourcen für nachfolgende Generationen gilt es, aus den Erfahrungen einer Reparaturgesellschaft vergangener Epochen zu lernen und zu analysieren, welche realen Aspekte der Nachhaltigkeit sich bei der heutigen Klima- und Förderpolitik in der Baubranche ausfindig machen lassen und welche vermeintlich dem Klimaschutz zugeschriebenen Aktivitäten der energiewirtschaftlichen Transformation als nicht nachhaltig und kulturschädlich bilanziert werden müssen.
Die jeweilige Ökobilanz eines geschützten und genutzten Einzelobjekts in Relation zu einem Referenzgebäude, dessen Kriterien es noch zu definieren gilt, dürfte je nach Baualter und Komponenten der materiellen gewachsenen Substanz im Bestand sehr unterschiedlich ausfallen, so die These.
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<caption>Teilzerstörte Brücke in Rech im Ahrtal, um deren Erhalt als Kulturdenkmal und Ressource es vehemente Diskussionen gibt, 2022</caption>
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Die genannten Änderungen förderrechtlicher Anforderungen an die Gesamtenergieeffizienz von Kulturdenkmalen hat einzelne Vertreter*innen der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger (VDL) und der Wissenschaftlich-Technischen Arbeitsgemeinschaft für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege (WTA) innerhalb der Koordinierungsstelle »Energieberater für Baudenkmale« veranlasst, die Erstellung einer Studie zu initiieren. Im Rahmen dieser Metastudie sollen Publikationen zusammengetragen und ausgewertet werden, die Ergebnisse von Ökobilanzierungen und darüber hinaus von Nachhaltigkeitsbetrachtungen zu Maßnahmen für die Erhöhung der Gesamtenergieeffizienz unter Nutzung erneuerbarer Energien an Kulturdenkmalen beinhalten. Ziel ist es, einen Überblick darüber zu bekommen, welche Universitäten, Forschungseinrichtungen sowie Architektur- und Ingenieurbüros sich mit Ökobilanzierungen und Nachhaltigkeitsbetrachtungen zu Maßnahmen für die Verbesserung der Gesamtenergieeffizienz von Kulturdenkmalen beschäftigen. Darüber hinaus soll ersichtlich werden, an welchen Kulturdenkmalen diese Betrachtungen durchgeführt wurden und mit welchen Ergebnissen. Weiterhin ist von Interesse, welche Bewertungssysteme dabei zum Einsatz kommen und welche Stärken bzw. Schwächen diese bei der Bewertung von Kulturdenkmalen zeigen. Auf der Grundlage dieser Metastudie können der Stand des Wissens zum Thema Ökobilanzierungen bzw. Nachhaltigkeitsbetrachtungen an Kulturdenkmalen zusammengefasst und noch offene Fragen zur Bewertung des Beitrages von Kulturdenkmalen zum nachhaltigen Bauen differenziert formuliert werden.
In einem weiteren Schritt wollen die Vertreter*innen der VDL und der WTA gemeinsam mit Projektpartner*innen aus der Wissenschaft ein Forschungsprojekt beantragen, das systematisch verschiedene Möglichkeiten der denkmalverträglichen, energetischen Ertüchtigung einschließlich des Einsatzes von erneuerbaren Energien an Kulturdenkmalen unterschiedlichen Baualters mit unterschiedlichen baukonstruktiven Eigenschaften über den gesamten Lebenszyklus durchspielt. Als Ergebnis soll herausgearbeitet werden, inwieweit Kulturdenkmale einen Beitrag zum nachhaltigen Bauen und damit zum Schutz der natürlichen Ressourcen und des Klimas leisten können.
Mit den Ergebnissen dieser wissenschaftlich fundierten Untersuchung können die Belange der Denkmalpflege zukünftig wieder stärker in die Diskussionen zu geplanten Änderungen der Förderrichtlinien der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) sowie bei Änderungen des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) eingebracht werden. Zudem kann auf dieser Grundlage eine gezieltere Beratung von Denkmaleigentümern und Planern erfolgen.
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<sec id="j_dkp-2022-1004_s_003"><div>Ressource Denkmal im Klimawandel: Erfahrungen aus der Praxis</div>
Die Dynamik der Jahrhunderthochwasserereignisse im Ahrtal, belegt in Schriftquellen seit dem 15. Jahrhundert und insbesondere für die Fluten in den Jahren 1804 und 1910 konkreter beschrieben, hat mit der katastrophalen Flut im Juli 2021 einen traurigen Höchststand mit vielen menschlichen Opfern erreicht. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten hat sich auch die Direktion Landesdenkmalpflege der Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) in Rheinland-Pfalz nach der Flut gemeinsam mit vielen Ehrenamtlichen für die betroffenen Denkmalobjekte und deren Eigentümer engagiert. Die Anliegen von Denkmalschutz und Denkmalpflegestehen aktuell einer traumatisierten Bevölkerung in einer devastierten Kulturlandschaft gegenüber, eine neue Erfahrung. Wie steht es um Identitätsstiftung und Berücksichtigung historischer Bauzeugnisse im Rahmen des Wiederaufbaus? Die intensivsten und strittigsten Diskussionen werden über die historischen denkmalgeschützten Brücken im Ahrtal geführt. Ihnen wird aufgrund ihrer stauenden Wirkung das Ausmaß der verheerenden Flutwelle in den Siedlungsbereichen angelastet. Seit Jahrzehnten versäumter Hochwasserschutz, verfehlter Naturschutz, eine unangepasste Forstwirtschaft und falsche Siedlungspolitik werden in der Diskussion vor Ort angesichts der traumatischen Ereignisse verdrängt. Der Streit um Abriss oder Erhalt der landschaftsprägenden steinernen Bogenbrücken – die meisten großartige Ergebnisse der Heimatschutzbemühungen im Wiederaufbau nach der Flut 1910 – spaltet die Ortsgemeinschaften. Für regelhafte Verfahren stehen wenig Zeit und Raum zur Verfügung, sind die Brücken doch elementare Bausteine der notwendigen neuen Verkehrsinfrastruktur im Ahrtal. Es bleibt das aktuelle Fazit: Der Erhalt der historischen Brückenkonstruktionen im Sinn einer wohl erst mittelfristig wieder als identitätsstiftend akzeptierten Ressource Denkmal wird nur möglich sein, wenn sich das öffentliche Interesse diesen baulichen Zeugnissen mit Nachdruck zuwendet und eine Abwägung gegenüber anderen Interessen, hier dem Hochwasserschutz, für den Belang des Denkmalschutzes positiv ausfällt.
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Die Beschleunigung der Energiewende steht im Fokus der politischen Agenda. Dem jüngsten IPCC-Bericht vom 4. April zufolge steigt der CO2 Ausstoß nach wie vor an. Die größten Einsparmöglichkeiten werden im energieeffizienten Wohnen gesehen, was den schon bestehenden Druck auf den historischen Gebäudebestand nochmals erhöht. Eine Problemverschärfung ist mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine eingetreten, der Europa schmerzhaft an seine Abhängigkeit von russischem Gas erinnert. Auch aus politischen und emotionalen Gründen streben viele Menschen »Klimafreiheit« durch erneuerbare Energien an.
Schon einmal hat sich <italic>Die Denkmalpflege</italic> mit dem Verhältnis von Klimaschutz und Denkmalschutz befasst. 2012 stand die Abwehr der drohenden Schädigung und »Verschandelung« von Architektur und Kulturlandschaft durch Gebäudedämmungen, PV-Anlagen und Windkrafträder im Vordergrund. Die Autoren dieses Heftes nähern sich dem Thema grundsätzlicher und positionieren die Denkmalpflege in der aktuellen Nachhaltigkeitsdebatte. Allen Beiträgen gemeinsam ist das Besinnen auf die ureigene Kompetenz der Disziplin und ihrer Objekte: Denkmale binden zwar seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten graue Energie und sind schon aus dieser Warte Klimaschützer ersten Ranges. Vor allem aber sind sie <italic>Denkmale</italic>, vielschichtige Geschichts-, Kultur- und Wissensressourcen, die aktiv zentrale Funktionen in unserer Gesellschaft wahrnehmen. Mehr noch: Der Umgang mit ihnen hat die »Methode Denkmalpflege« ausgebildet, eine lang erprobte Nachhaltigkeitsstrategie, deren Übertragung auf einen größeren historischen Baubestand auch aus Sicht des Klimaschutzes Chancen birgt.
Birgitta Ringbeck stellt die verschiedenen Qualitäten des Kulturerbes als Ressource heraus und beklagt, dass es in Deutschland – anders als auf internationaler Ebene – noch immer nicht gelungen sei, sein Potenzial für Anpassungsstrategien zu adressieren und in den nationalen Klimaschutzgesetzen und -programmen zu verankern.
Roswitha Kaiser und Silke Vollmann brechen das Thema auf den denkmalpflegerischen Alltag zwischen Gebäudeenergiegesetz und KfW-Förderklassen herunter und widmen sich der notwendigen Ökobilanzierung der »materiellen Ressource Kulturdenkmal« durch berechnete standardisierende Fakten.
Leo Bockelmann und Hans-Rudolf Meier warnen die Denkmalpflege aufgrund von Beobachtungen im Umgang mit dem industriellen Erbe im Vogtland, in eine »Nachhaltigkeitsfalle« zu tappen, in der denkmalpflegerische Anliegen eindimensional auf die Ressourceneffizienz beschränkt und die Vielschichtigkeit ihrer Bedeutungsebenen preisgegeben werden.
Am Beispiel des Dorfes Morschenich diskutieren Fabian Kröning und Philipp F. Huntscha die Übertragbarkeit denkmalpflegerischer Ansätze auf die Revitalisierung ländlicher Orte im Allgemeinen. Einen ähnlichen Gedankengang entwickelt Lydia Constanze Krenz, die aus einem Vergleich der Campusuniversitäten Konstanz, Darmstadt und Innsbruck folgert, dass es denkmalpflegerische Konzepte sind, die architektonische Potenziale voll ausschöpfen und Bauwerke jeder Zeitstellung gegenwarts- und zukunftsfähig machen können.
Die augenfälligsten Schäden zeitigt der Klimawandel in Gärten und Forsten. Hartmut Troll öffnet den Blick auf die Gartendenkmalpflege und schildert Maßnahmen und Hintergründe von Anpassungsstrategien im Schlossgarten Schwetzingen am Beispiel der Gehölze.
Die Nachricht vom Tode Tilmann Breuers hat uns erst kurz vor Drucklegung erreicht. Ein Nachruf auf den hoch geschätzten Kollegen wird Teil des kommenden Heftes 2/2022 sein.
Den Leser*innen wird aufgefallen sein, dass <italic>Die Denkmalpflege</italic> jüngst ihrer Plastikhaut entstiegen ist. Von dieser Ausgabe an bietet sie als E-Journal auch eine ressourcenschonende Alternative zum (geliebten) Papier.
Für die Redaktion
MELANIE MERTENS
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Mit dem klimapolitisch motivierten Beschluss zum beschleunigten Ausstieg aus der Braunkohleverstromung stehen die bisher vom Abbau und der Verwertung des Rohstoffs geprägten Regionen in Deutschland – erneut – vor einem gewaltigen Transformationsprozess. Dies stellt auch die Denkmalpflege vor große Herausforderungen. Hatte die großräumige Erschließung unterirdischer Braunkohlevorkommen im Tagebau in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch den tiefgreifenden Umbau historisch gewachsener Kulturlandschaften bedeutet und war dieser mit dem unwiederbringlichen Verlust zahlreicher, zum

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<label>1</label>
<caption>Der südwestliche Teil des rheinischen Braunkohlereviers mit den Tagebauen Inden (links) und Hambach (rechts), die Ortslage Merzenich-Morschenich rot umkreist, 2021</caption>
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Teil jahrhundertealter Baudenkmale und ganzer Ortschaften einhergegangen, so geht es heute auch um einen verantwortungsvollen Umgang mit den baulichen Zeugnissen der Braunkohleindustrie, die inzwischen längst selbst zu einem Gegenstand denkmalpflegerischer Betrachtung geworden sind. Den gesetzlich begründeten Auftrag zum Schutz, zur Pflege sowie zur sinnvollen Nutzung besonders prägender Objekte und Elemente dieses zwiespältigen und in Teilen widersprüchlichen Erbes der Kohlereviere gilt es wiederum in Einklang zu bringen mit den politisch weitreichenden Forderungen nach einer Transformation der Gesellschaft hin zu einer »nachhaltigen« und »ressourcenschonenden« Lebensweise.
Diese schwierige Aufgabe stellt sich auch für die an die Tagebaue Hambach, Inden und Garzweiler angrenzenden Städte und Gemeinden im rheinischen Braunkohlerevier (Abb. 1), das nach dem Willen der nordrhein-westfälischen Landesregierung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten »zu einer innovativen, klimagerechten und nachhaltigen Region«<fn id="j_dkp-2022-1007_fn_001" symbol="1">Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen: <italic>Leitentscheidung 2021: Neue Perspektiven für das Rheinische Braunkohlerevier</italic>. Beschluss der Landesregierung vom 23. März 2021, S. 2, <ext-link ext-link-type="uri" xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="http://https://www.wirtschaft.nrw/sites/default/files/asset/document/leitentscheidung_2021_0.pdf">https://www.wirtschaft.nrw/sites/default/files/asset/document/leitentscheidung_2021_0.pdf</ext-link> (abgerufen am 4.2.2022).</fn> entwickelt werden soll. Vor diesem Hintergrund verschieben sich derzeit im Tagebauvorland die Prioritäten hinsichtlich der verfügbaren Ressourcen: Weg von der Ressource Braunkohle, deren Nutzbarmachung sich bisher alles untergeordnet hatte, hin zu den noch erhaltenen naturräumlichen Ressourcen wie Wälder und Gewässer, aber auch zu den Menschen der Region und ihrem Wohn- und Lebensraum. Denn trotz der politischen Kursänderung im Großen ist aktuell immer noch für fünf Ortschaften am Westrand des Tagebaus Garzweiler offen, ob sie für den Braunkohletagebau abgebrochen werden müssen. Mittlerweile jedoch mehren sich die Rufe nach einem Erhalt der verbliebenen Dörfer, die längst auch in den Blickpunkt der Klimaschutzbewegung geraten sind.<fn id="j_dkp-2022-1007_fn_002" symbol="2">Das überregionale Aktionsbündnis »Alle Dörfer bleiben« setzt sich seit 2018 für den Erhalt aller noch vom Abbruch bedrohten Dörfer im rheinischen, mittel- und ostdeutschen Revier ein.</fn> Selbst der neue Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst (CDU), hat unlängst die Absicht erklärt, »so viele Dörfer wie möglich«<fn id="j_dkp-2022-1007_fn_003" symbol="3">Regierungserklärung des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen Hendrik Wüst MdL, 3. November 2021, S. 27, <ext-link ext-link-type="uri" xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="http://https://www.land.nrw/sites/default/files/asset/document/2021-11-03_regierungserklarung_mp_hendrik_wust.pdf(abgerufen">https://www.land.nrw/sites/default/files/asset/document/2021-11-03_regierungserklarung_mp_hendrik_wust.pdf(abgerufen</ext-link> am 4.2.2022).</fn> zu erhalten.
Definitiv nicht mehr abgebrochen werden muss Morschenich (Abb. 2), ein kleines Straßendorf, nur wenige Hundert Meter entfernt gelegen vom Tagebau Hambach und jenem gleichnamigen Wald, der als »Hambi« zum überregionalen Symbol der Klimaprotestbewegung der vergangenen Jahre avancierte und dabei deutschlandweit Bekanntheit erreicht hat. Noch zu Beginn des Jahres 2020 war die Lage eine andere: Nachdem die Bewohner*innen bereits 2015 weitgehend umgesiedelt waren, stand der Abbruch des Dorfes für den heranrückenden Tagebau unmittelbar bevor. Doch mit dem Beschluss zum Erhalt der letzten Reste des benachbarten Waldes hat sich auch für Morschenich das Blatt in buchstäblich letzter Sekunde noch einmal gewendet – der Ort muss dem Tagebau nicht weichen und kann bestehen bleiben. In der Leitentscheidung der Landesregierung zum rheinischen Braunkohlerevier vom 23. März 2021 nimmt er eine herausgehobene Stellung ein: Er soll als »Ort der Zukunft« eine »nachhaltige und innovative Nutzung« erfahren.<fn id="j_dkp-2022-1007_fn_004" symbol="4"><italic>Leitentscheidung 2021</italic> (wie Anm. 1), S. 34.</fn>
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<label>2</label>
<caption>Merzenich-Morschenich, Blick in Richtung Tagebau Hambach und gleichnamigen Forst, 2021</caption>
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Schon jetzt beschäftigt zahlreiche Akteur*innen aus Wissenschaft und Politik die Frage, wie Morschenich neu erfunden und aus dem Ort ein »Reallabor« des Strukturwandels mit Vorbildcharakter für das gesamte rheinische Revier gemacht werden kann. Vorangetrieben wird das ambitionierte Projekt vor allem vom Bürgermeister der zuständigen Gemeinde Merzenich, der auch die Planungshoheit über den Ort obliegt. Eine zweite gewichtige Akteurin der Erneuerung Morschenichs ist die RWE Power AG, bergbautreibender Energiekonzern und Eigentümerin der meisten Grundstücke im Ort. Gemäß Leitentscheidung soll der Konzern die Kommune aktiv dabei unterstützen, den Ort zu reaktivieren.<fn id="j_dkp-2022-1007_fn_005" symbol="5">Ebd., S. 35.</fn> Noch ist offen, mit welchen I deen sich RWE in den Prozess einbringen wird. Was Morschenich für seine Zukunft bislang noch fehlt, sind vor allem neue Bewohner*innen – denn seit ihrer Umsiedlung steht der Ort weitgehend leer. Für viele der Alt-Morschenicher*innen wiederum ist es eine traumatische Erfahrung, sich der Zwecklosigkeit ihrer Umsiedlung und einer möglichen Wiederbelebung der alten Heimat durch Dritte bewusst zu werden. Neben der Forderung nach einer Rückkaufoption wird dabei vereinzelt auch der Wunsch nach einem Schlussstrich unter dem schmerzhaften Umsiedlungsprozess durch einen Totalabriss laut.
Dass sich innerhalb dieser komplexen Gemengelage auch das LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland (LVR-ADR) engagiert und sich vor gut einem Jahr initiativ in den Prozess der Zukunftswerdung des Ortes eingebracht hat, bedarf einer gewissen Erklärung. Formal agiert das LVR-ADR hierbei in seiner gesetzlich begründeten Funktion als Beraterin der Gemeinde im Rahmen einer frühzeitigen Beteiligung an den Planungen zur Ortserneuerung. Inhaltlich aber geht sein Engagement an dieser Stelle über den klassischen Auftrag der Denkmalpflege hinaus: Im Fokus stehen nicht allein die (wenigen) eingetragenen Baudenkmale des Ortes, sondern sein bauliches Erbe als Ganzes sowie die Frage, welche Rolle dieses im »Ort der Zukunft« spielen kann. Wie lässt sich der historische Bestand erhalten und an die Anforderungen des 21. Jahrhunderts anpassen? Und worin besteht eigentlich sein spezifischer Wert für das gesellschaftspolitische Ziel einer nachhaltigen Lebensweise? Gerade die Denkmalpflege mit der ihr ureigenen Expertise in Sachen Inwertsetzung und Werterhalt und ihrer Erfahrung auf den Gebieten des Bauens im Bestand, der Reparatur, der Um- und Weiternutzung kann einen substanziellen Beitrag dazu leisten. Zudem bietet sich für die Denkmalpflege hier die Gelegenheit, bei dem derzeit vielleicht drängendsten politischen Metathema konstruktiv und öffentlichkeitswirksam in Erscheinung zu treten.
Unter dem programmatischen Titel »Zurück in die Zukunft« hat das LVR-ADR in einem ersten Schritt eine umfängliche denkmalpflegerische Analyse des Ortes erarbeitet.<fn id="j_dkp-2022-1007_fn_006" symbol="6">Huntscha, Philipp F. / Kröning, Fabian / Graff, Anna: <italic>Zurück in die Zukunft. Eine denkmalpflegerische Analyse zur Dorferneuerung von Morschenich</italic>. LVR-ADR, 2021, <ext-link ext-link-type="uri" xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="http://https://denkmalpflege.lvr.de/media/de/denkmalpflege/publikationen/online_publikationen/LVR_Morschenich_Ortsanalyse_NOV2021_WEB_barrierefrei.pdf">https://denkmalpflege.lvr.de/media/de/denkmalpflege/publikationen/online_publikationen/LVR_Morschenich_Ortsanalyse_NOV2021_WEB_barrierefrei.pdf</ext-link> (abgefufen am 4.2.2022).</fn> Neben einer denkmalfachlichen Bewertung des Baubestands im Einzelnen<fn id="j_dkp-2022-1007_fn_007" symbol="7">Zusätzlich zu den wenigen bereits ausgewiesenen Kulturdenkmalen im Ort konnten dabei bislang zehn weitere Objekte als Baudenkmale im Sinne des Denkmalschutzgesetzes benannt werden. Daneben benennt die Analyse aber auch »erhaltenswerte« Objekte und solche, die lediglich »strukturgebend« für das historische Ortsbild bzw. den Dorfgrundriss sind.</fn> ging es vor allem darum, die übergeordneten Strukturen und Typologien im historischen Ortsbild offenzulegen – vom Wegenetz und der Parzellenstruktur über die ortstypischen Haus- und Hofformen, die sozialen Funktionen des Dorfraums bis hin zu den vielfältigen Bezügen zwischen Siedlungsraum und umgebender Kulturlandschaft. Die Studie wirbt für ihren Erhalt und legt zugleich den Grund für ihre behutsame Anpassung und Weiterentwicklung im Rahmen der Erneuerung von Morschenich als einem »Ort der Zukunft«. Darüber hinaus versteht das LVR-ADR die Analyse als ein Pilotprojekt, mit dem exemplarisch aufgezeigt werden soll, ob und wie man auf der Grundlage denkmalpflegerischer Erfassung und Erfahrung zur Revitalisierung ländlicher Orte im Allgemeinen beitragen kann.
Die Vereinbarkeit dieser erweiterten denkmalpflegerischen Zielsetzung mit dem politischen Ziel einer »nachhaltigen« Ortserneuerung ist zunächst eine Frage der Vermittlung. Denn dass mit dem Fortbestand des Dorfes und seiner überlieferten Bausubstanz auch die darin gebundene graue Energie erhalten bleibt und denkmalpflegerisches Handeln damit per se nachhaltig ist, ist zwar in der Fachwelt allgemein bekannt – in der Praxis jedoch muss für diese Sichtweise immer wieder aufs Neue geworben werden. Ressourcenschonend ist auch die Verwendung lang erprobter regionaler Materialien – vor allem Backstein, Holz oder Lehm –, die in einem Großteil der Objekte vor Ort verbaut sind. Ihr Lebenszyklus ließe sich durch Weiternutzung und Reparatur verlängern, ohne dass große Summen an Herstellungs- und Entsorgungskosten entstünden.
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<label>3</label>
<caption>Merzenich-Morschenich, Oberstraße, ortstypische Bebauungsstruktur (farbig hervorgehoben), auf der Basis eines Fotos von 1957</caption>
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Vor allem aber versteht sich die Denkmalpflege als Anwältin einer historisch zu begründenden kulturellen Nachhaltigkeit: Die vor Ort erhaltenen Bauwerke geben Auskunft über die Geschichte des Dorfes, seiner Bewohner*innen und der Region, sie sind begehbare und begreifbare Speicher eines historischen Wissens, die sich als eine Ressource im kulturellen Sinne verstehen lassen. Auf den Wert dieser Ressource aufmerksam zu machen und das ihr inhärente Wissen und Nutzungspotenzial für den »Ort der Zukunft« zugänglich zu machen, ist eine Aufgabe, zu der gerade die Denkmalpflege in besonderer Weise befähigt ist.
Dass Morschenichs bauliche Substanz schon von jeher zukunftsfähig war, zeigt sich etwa an den ortstypisch kleinteiligen Haus- und Hofformen des 19. Jahrhunderts, die sich bereits in der Vergangenheit als flexibel zu nutzende und zu erweiternde Strukturen bewährt haben (Abb. 3). Insbesondere die rückwärtige Hofbebauung erfuhr im Laufe der Jahre einen stetigen Weiter-, Um- oder Rückbau und passte sich so den sich wandelnden Bedürfnissen ihrer Bewohnerschaft an: Ehemals landwirtschaftlich genutzte Gebäude wurden zu Wohn- oder Gewerbezwecken umgebaut, Nutzgärten wiederum zu privaten Wohngärten umfunktioniert. Warum sollten sich diese Strukturen nicht auch weiterhin bewähren und kommende Herausforderungen meistern, etwa den Wandel hin zu einer wieder stärkeren Verbindung von Wohnen und Arbeiten, wie er sich im Zuge der Corona-Pandemie derzeit verstärkt abzeichnet? Hier werden exempla risch ganz allgemeine Fragen des Lebens im ländlichen Raum berührt.
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<caption>Merzenich-Morschenich, Unterstraße 56–68, Typenwohnhäuser der 1950er Jahre für Angestellte in der Braunkohleindustrie, 2021</caption>
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Für einen Erhalt und eine behutsame Weiterentwicklung des Ortes spricht nicht zuletzt die Geschichte des Ortes selbst. Sie steht beispielhaft für viele Dörfer im Rheinischen Revier und ihr gebrochenes, durch den Braunkohlebergbau geprägtes Erbe – und eignet sich genau deshalb als Identifikationsangebot für die erneut im Umbruch befindliche Region.
Nirgendwo wird dies deutlicher als am nördlichen, heute dem Tagebau zugewandten Ausgang des Dorfes. Dort entstanden um 1950 sieben Typenwohnhäuser für Bergarbeiter (Abb. 4), die als letzte Zeugen von einem fast vergessenen Kapitel in der Geschichte des rheinischen Braunkohlenbergbaus erzählen: von der experimentellen Förderung des Rohstoffs unter Tage. Noch während des Zweiten Weltkriegs hatte die »Rheinische Braunkohlentiefbaugesellschaft mbH« – Vorgängerin der heutigen RWE – mit dem Bau einer Schachtanlage in dem historischen Waldgebiet nördlich von Morschenich begonnen (Abb. 5). Mit dem Bau der Siedlungshäuser für die wachsende Belegschaft des Bergwerks wuchs im Ort zugleich die Hoffnung auf einen Entwicklungssprung vom bäuerlich geprägten Dorf zu einem steuerstarken Industriestandort. Mit der obertägigen Erschließung der Braunkohle in den 1970er Jahren änderte sich die Perspektive für den Ort dann allerdings schlagartig. Längst hatte sich die technisch aufwendige Förderung unter Tage als unrentabel erwiesen, die Versuchsschachtanlage war bereits 1955 eingestellt worden. Nun fand sich der Ort auf einmal im geplanten Abbaugebiet des Tagebaus wieder. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass gerade in der Aussicht des eigenen Verschwindens der Grund dafür auszumachen ist, dass sich die vorindustrielle Struktur des Dorfes bis heute überdurchschnittlich gut erhalten hat: Zur selben Zeit, als viele andere Dörfer im Rheinland ihren ländlichen Charakter durch den Bau raumgreifender Einfamilienhaussiedlungen zusehends verloren, kam in Morschenich diese bauliche Entwicklung zum Erliegen. 
<fig id="j_dkp-2022-1007_fig_005" position="float" fig-type="figure">
<label>5</label>
<caption>Merzenich-Morschenich, Fördergerüst der zweiten Schachtanlage des Braunkohletiefbauwerks »Union 103«, 1953</caption>
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Heute besteht die Chance, sich der Geschichte des Ortes und seiner brachliegenden Ressourcen erneut anzunehmen, sie sich in einem nachhaltigen Sinne zu eigen zu machen und damit einer neuen Zukunft zuzuführen. Mit der Analyse des LVR-ADR ist eine erste Grundlage geschaffen, die sich nicht allein an die planende Gemeinde Merzenich richtet, sondern an alle im Umfeld der Erneuerung von Morschenich beteiligten Akteur*innen. Maßgeblich durch das Engagement des Bürgermeisters der Gemeinde Merzenich motiviert, beginnt die Auseinandersetzung mit dem Ort aktuell aus verschiedenen Perspektiven: etwa durch Studierende der Fachhochschule Aachen, die im regelmäßigen Austausch mit dem LVR-ADR verschiedene städtebauliche Szenarien für den »Ort der Zukunft« ausloten; parallel dazu bespielt die Gemeinde temporär wieder einzelne Gebäude im Ort, wie den ehemaligen Kindergarten oder die Dorfkirche St. Lambertus. In jedem Fall hat der frühzeitige und öffentlichkeitswirk same Einstieg der Denkmalpflege in den Prozess der Ortserneuerung schon jetzt dazu geführt, dass künftig niemand mehr den »Ort der Zukunft« ohne seine Vergangenheit denken kann. Vor allem der Bürgermeister hat sich diese Losung auf die Fahnen geschrieben und tritt inzwischen grundsätzlich für eine Planung mit dem Bestand ein.
<fig id="j_dkp-2022-1007_fig_006" position="float" fig-type="figure">
<label>6</label>
<caption>Erkelenz-Keyenberg (am Tagebau Garzweiler), Borschemicher Straße, Blick in Richtung der Kirche Heilig Kreuz, 2014</caption>
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Gleichwohl ist die Zukunft von Morschenich noch längst nicht ausgemacht. Für die Denkmalpf lege liegt die besondere Herausforderung – und zugleich Chance – in der Beteiligung an einem längerfristigen Findungsprozess, in dem am Beispiel eines Dorfes das derzeit gesamtgesellschaftlich virulente Thema Nachhaltigkeit in seinen verschiedenen Facetten verhandelt wird. Wird dieser Weg weiterhin erfolgreich beschritten, so kann er ein Modell auch für die übrigen noch vom Tagebau bedrohten Dörfer im Rheinischen Braunkohlerevier sein (Abb. 6). Über ihr Schicksal soll bis Ende 2026 entschieden werden.<fn id="j_dkp-2022-1007_fn_008" symbol="8">Presseerklärung des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, 23. März 2021, <ext-link ext-link-type="uri" xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="http://https://www.wirtschaft.nrw/pressemitteilung/landeskabinett-beschliesst-neue-leitentscheidung">https://www.wirtschaft.nrw/pressemitteilung/landeskabinett-beschliesst-neue-leitentscheidung</ext-link> (abgerufen am 4.2.2022).</fn>
</div>

<article-title>Kurzberichte aus den Ländern</article-title>

{"article-title":"Kurzberichte aus den Ländern"}

<div>
Im Sinne des Klimaschutzes und angesichts des Klimawandels werden zunehmend Überlegungen angestellt, wie auch historische bzw. denkmalgeschützte Bauten einen Beitrag zur CO2-Einsparung leisten können. Durch den Artikel § 105 Gebäudeenergiegesetz (GEG) ist geregelt, dass bei Baudenkmalen oder sonstiger besonders erhaltenswerter Bausubstanz von der Erfüllung der Anforderungen des GEG abgewichen werden darf, wenn sie das Erscheinungsbild beeinträchtigt oder ein unverhältnismäßig hoher Aufwand betrieben werden müsste. Doch auch im Denkmal und Altbaubestand ist durch intelligente und innovative Lösungsansätze, die auf das jeweilige historische Gebäude individuell abgestimmt werden müssen, Energieeinsparung möglich. Lange Zeit wurden als einfachste und vermeintlich wirksamste Maßnahme Millionen von Bestandsfenstern ausgetauscht, um Gebäude energetisch zu ertüchtigen. Umso wichtiger ist es, gerade im Bereich der schützenswerten Altbauten und Baudenkmale Lösungen aufzuzeigen, die sowohl unter Wahrung von ästhetischen als auch Energie einsparenden Gesichtspunkten realistisch umsetzbar sind. Der Erhalt von historischen Fenstern ermöglicht neben der Schonung von Ressourcen auch das Fortbestehen des äußeren Erscheinungsbildes eines Gebäudes. Denn werden Fenster verändert oder durch neuartige Systeme ausgetauscht werden, verändert sich auch der Gesamteindruck des Baudenkmals.
Im Rahmen der Forschungsarbeiten im FraunhoferZentrum für energetische Altbausanierung und Denkmalpflege in Benediktbeuern ergab sich in Abstimmung mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege die Möglichkeit, vor Ort an der denkmalgeschützten Alten Schäfflerei des Klosters (<a ref-type="fig" href="#j_dkp-2022-1008_fig_001">Abb. 1</a>) unterschiedliche Lösungswege zur energetischen Ertüchtigung und zum Erhalt von Bestandsfenstern zu untersuchen und messtechnisch zu begleiten. Das aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stammende Baudenkmal im ehemaligen Handwerkerbereich des Klosters diente somit innerhalb des Forschungsprojekts »Innovative Lösungen für die Ertüchtigung von historischen Bestandsfenstern unter Aspekten des Klimaschutzes« als Beispielobjekt für die Umsetzung ausgewählter Lösungen zur energetischen Optimierung bestehender Fenster.<fn id="j_dkp-2022-1008_fn_001" symbol="1">Kompetenzzentrum für Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien (Hrsg.): <italic>Leitfaden zur energetischen Ertüchtigung von Bestandsfenstern und Gläsern in historischer Bausubstanz als Beitrag zum Klimaschutz</italic>. Otto-Friedrich-Universität Bamberg, 2021. DOI: 10.20378/irb-49994.</fn>

<fig id="j_dkp-2022-1008_fig_001" position="float" fig-type="figure">
<label>1</label>
<caption>Kloster Benediktbeuern, Fraunhofer-Zentrum für energetische Altbausanierung und Denkmalpflege in der Alten Schäfflerei, 2020</caption>
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</fig>
Das vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz geförderte Vorhaben der Universität Bamberg und des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP befasst sich unter anderem mit der Bilanzierung von Lebenszyklen von Verglasungen. Schlüsselkriterien sind hier der Ressourcenverbrauch, der Aufwand an Primärenergien und die Recyclingrate. Aufgrund unterschiedlicher Herstellungsprozesse sowie Qualitäten der eingesetzten Rohstoffe weisen historische Glasscheiben eine in der Regel unbekannte Zusammensetzung auf, insbesondere im Hinblick auf Schwermetalle. Eine Rückführung in moderne Produktionsketten ist daher nicht ohne Weiteres möglich. In der Folge entstehen große Mengen an Abfallglas. Im Zuge des Forschungsprojekts wurde unter anderem die Ertüchtigung von Bestandsfenstern durch adaptiv vorgesetzte Fenster getestet und messtechnisch beurteilt. Dabei konnten anhand von Luftwechselmessungen die Belüftungsverhältnisse ermittelt und das Funktionsprinzip überlieferter Konstruktionsvorgaben wissenschaftlich überprüft werden. Der Vorteil dieser Ertüchtigungsvarianten ist die ressourcenschonende Erhaltung der Bestandsfenster. Dabei werden Wärmeverluste minimiert und der Wärmebedarf und CO2‐Abdruck gesenkt. Des Weiteren wurde die Erhaltung von Altscheiben durch geringe Modifikation ihrer bauphysikalischen und Oberflächeneigenschaften beispielsweise durch geänderte Rahmenkonstruktionen untersucht.


Wie bei historischen Gebäuden weit verbreitet, sind auch in der Alten Schäfflerei vorwiegend Fenster mit einer einfachen Einscheibenverglasung vorzufinden. Im Folgenden werden vor Ort umgesetzte und messtechnisch untersuchte, exemplarische Lösungen vorgestellt.
<sec id="j_dkp-2022-1008_s_001"><div>Scheibenaustausch oder Erweiterung zum Isolierglasfenster</div>
Bei dem Austausch einer Scheibe durch ein Isolierglas wird der bestehende historische Fensterrahmen in seiner Substanz erhalten, somit auch die Anmutung des Fensters bei gleichzeitiger energetischer Verbesserung. Mit dem Austausch der originalen Scheibe lässt sich eine weitreichend substanzschonende Optimierung eines Bestandsfensters realisieren, die originale Bestandsscheibe geht jedoch bei dieser Variante verloren. Die Bestandsscheiben werden ausgebaut und durch Wärmeschutzglas mit sehr geringem Scheibenzwischenraum ersetzt, beispielsweise sind Wärmeschutzverglasungen mit Ug-Wert von 0,9 W/m2K bis 1,8 W/ m2K je nach Ausführung möglich.
Alternativ besteht die Möglichkeit, die originale Scheibe weiter zu nutzen und in den Scheibenaufbau der Wärmeschutzverglasung zu integrieren. Dazu wird die originale Scheibe ausgebaut und im Isolierglaswerk mit einer neuen Scheibe zu einem Wärmeschutzglas zusammengebaut. Die Dicke des neuen Glasaufbaus beträgt hier ungefähr 15 Millimeter, bei einem UgWert von 0,9 W/m2K. Der historische Fensterrahmen wird für die veränderte Glasdicke in der Glasfalztiefe angepasst und kann ansonsten erhalten bleiben. Zu beachten ist die Wahl der Farbe des Glasabstandshalter bei der Isolierglasscheibe, die den Gesamteindruck des ertüchtigten Fensters mitbestimmt. Positiv an dieser Lösung ist, dass durch den geringen Eingriff in die bestehende Bausubstanz der Fensterrahmen und das Erscheinungsbild des Fensters erhalten bleiben. Wenn die Bestandsscheibe für die Erweiterung zum Isolierglas weitergenutzt wird, wird ein noch größerer Beitrag zur Ressourcenschonung geleistet.


</sec>
<sec id="j_dkp-2022-1008_s_002"><div>Inneres Vorsatzfenster mit Metall- oder Holzrahmen</div>
Ein neues innenliegendes Fenster aus hochdämmendem Isolierglas erbringt eine hohe Energieeffizienzsteigerung. Wenn ein solches Vorsatzfenster in eine ungedämmte Bestandswand eingesetzt wird, befindet es sich niveaugleich raumseitig in der Bestandsmauer. Ein lotrechtes Ausgleichen der Wandoberfläche beispielsweise durch einen Putzauftrag kann dabei unter Umständen notwendig sein. Durch Laschen und Dübel wird das Fenster direkt an der Wand befestigt. Das Fenster kann wie im Beispiel (<a ref-type="fig" href="#j_dkp-2022-1008_fig_002">Abb. 2</a>) komplett bis über den Sturzbogen geführt werden. Alternativ kann das Vorsatzfenster in die Dämmebene der Innendämmung einer Wand eingebaut werden. Die Befestigungslaschen sind hierbei allerdings an entsprechend großen Winkeln angeschweißt, um die Stärke der Dämmschicht auszugleichen. Schlitze an den Befestigungslaschen dienen als Justierungshilfe für die Montage des Fensterrahmens. Nach dem Einbau wird der Rahmen mittels Dichtband luftdicht an die Wand angeschlossen und die Innendämmung ggf. an das Fenster angearbeitet. Das Fenster lässt sich durch einen Fensterflügel öffnen. Der obere Teil im Sturzbereich wird an die Bestandsöffnung angepasst und ist hier als festverglaster Segmentbogen ausgebildet.
<fig id="j_dkp-2022-1008_fig_002" position="float" fig-type="figure">
<label>2</label>
<caption>Modernes Vorsatzfenster mit Metallrahmen innen bei kompletter Erhaltung des Bestandsfensters, 2020</caption>
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</fig>


Bei Einbau eines innenseitigen Fensters kann das Bestandsfenster komplett erhalten werden, da es keinerlei Verbindung zu den additiven Fensterelementen eingeht. Das historische Fenster wird gleichsam wie in einer Vitrine präsentiert.
</sec>
<sec id="j_dkp-2022-1008_s_003"><div>Erweiterung zum Kastenfenster</div>
Bei einer weiteren Variante wird das bestehende Einfachfenster zum zweiflügeligen Holz-Kastenfenster erweitert (<a ref-type="fig" href="#j_dkp-2022-1008_fig_003">Abb. 3</a>, <a ref-type="fig" href="#j_dkp-2022-1008_fig_004">4</a>), indem ein innenliegendes Fenster mit verbindendem Futterkasten in die vorbereitete Fläche eingesetzt und luftdicht angeschlossen wird. Die Kastentiefe beträgt meist zwischen 95 bis 110 Millimeter, und der Futterkasten ist mit Nutleisten an das Bestandsfenster angebunden. Der Futterstock kann direkt auf das bestehende Fensterbrett aufgesetzt werden und dieses somit erhalten bleiben. Ansonsten müsste auch im Bereich der verputzten Brüstung bestehende Substanz abgenommen werden, um das Kastenfenster fachgerecht einbauen, eine optimale Verbindung von Alt- und Neufenster erreichen und beide Fenster gut öffnen zu können. Die Profilgeometrie wird hier bewusst schlank ausgeführt, um einer ähnlichen Optik wie der der vorhandenen Fenster zu entsprechen. Die Abdichtung des Fensters erfolgt denkmalverträglich und nachhaltig mit Stopfmaterial aus nachwachsenden Rohstoffen. Aus Aspekten der Denkmalpflege und Ressourceneffizienz wird auf industriell hergestellte Schäume verzichtet. Der Ausbau zum Kastenfenster ist eine substanz- und ressourcenschonende Lösung für die energetische Optimierung historischer Fenster.<fn id="j_dkp-2022-1008_fn_002" symbol="2">Klos, Hermann: <italic>Das Fenster im 20. Jahrhundert – Kastenfenster</italic>. Sonderdruck (mit Ergänzungen). Aus: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 39 (2010), H. 4. – <italic>Holzfenster im Baudenkmal. Hinweise zum denkmalgerechten Umgang</italic>. Wiesbaden 22018 (Arbeitshefte der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland, 1), online: <ext-link ext-link-type="uri" xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="http://https://www.vdl-denkmalpflege.de/fileadmin/dateien/Arbeitshefte/01_Fenster_im_Baudenkmal._%C3%9Cberarbeitete_Version__2018_.pdf">https://www.vdl-denkmalpflege.de/fileadmin/dateien/Arbeitshefte/01_Fenster_im_Baudenkmal._%C3%9Cberarbeitete_Version__2018_.pdf</ext-link> (abgerufen am 23.2.2022).</fn>
<fig id="j_dkp-2022-1008_fig_003" position="float" fig-type="figure">
<label>3</label>
<caption>Erweiterung eines einfach verglasten Bestandsfensters zu einem Kastenfenster in Holz mit Futterkasten, 2017</caption>
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</fig>
<fig id="j_dkp-2022-1008_fig_004" position="float" fig-type="figure">
<label>4</label>
<caption>Erweiterung eines einfach verglasten Bestandsfensters zu einem Kastenfenster in Holz mit Futterkasten im horizontalen Schnitt</caption>
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</fig>


</sec>
<sec id="j_dkp-2022-1008_s_004"><div>Kastenfenster mit zwei Isolierglasscheiben</div>
Zusätzlich zur Erweiterung zum Kastenfenster kann die Scheibe am originalen Fenster energetisch optimiert werden (<a ref-type="fig" href="#j_dkp-2022-1008_fig_005">Abb. 5</a>). Durch eine Scheibenerweiterung zum Isolierglas kann die bestehende Scheibe weiter genutzt werden und trägt damit zum Erhalt originaler Substanz wie auch zur Ressourcenschonung bei. Auch bereits zu Kastenfenstern ertüchtigte Fenster erfahren durch eine Erweiterung der bestehenden Einfachscheiben des Bestandfensters zu einem Isolierglas eine zusätzliche energetische Verbesserung. Im Rahmen der Untersuchung wurden die Fenster in eine innengedämmte Wand eingebaut, bei denen die Kastenfensterebene (circa 130 Millimeter Kastentiefe Glas zu Glas) bereits mit einem Wärmeschutzglas (UW 1,1 W/ m2K) ausgeführt ist. Nachträglich wurde die Einfachscheibe des außen liegenden Bestandfensters ausgebaut und durch eine zusätzliche Glasscheibe zu einem Isolierglas ertüchtigt. Die Dicke des neuen Glasaufbaus beträgt hier etwa 15 Millimeter bei einem Ug-Wert von 0,9 W/m2K. Mit zwei Isolierglasebenen sind sehr niedrige UW Werte möglich (Neubau-Niveau). Das Bestandsfenster bleibt in seiner Form und Substanz erhalten und ist zum Kastenfenster mit Wärmeschutzverglasung erweitert. Der historische Fensterrahmen wird für die veränderte Glasdicke in der Glasfalztiefe angepasst und kann ansonsten komplett erhalten bleiben.
<fig id="j_dkp-2022-1008_fig_005" position="float" fig-type="figure">
<label>5</label>
<caption>Ausbau des Bestandsfensters zum Kastenfenster mit Erweiterung zu zwei Isolierglasebenen im horizontalen Schnitt</caption>
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</fig>

</sec>
<sec id="j_dkp-2022-1008_s_005"><div>Minimalinvasive Erweiterung zum Kastenfenster</div>
Als besondere Lösung in der Denkmalpflege kann ein bestehendes, einfach verglastes Fenster auch durch einen minimalinvasiven Eingriff mit einem innenliegenden Kastenfenster energetisch verbessert werden (<a ref-type="fig" href="#j_dkp-2022-1008_fig_006">Abb. 6</a>). Das Bestandsfenster bleibt dabei unangetastet und wird lediglich repariert. Das Aufstellen eines neuen Fensterstocks auf ein Fensterbrett schafft eine Kastenfensterlösung, die lediglich mit zehn Schrauben mit dem Bestandsfensterstock verbunden ist. Entsprechende Dichtbänder garantieren die Luftdichtigkeit im neuen Fensterstock. Wird eine Gummidichtung an der inneren Fensterebene eingebracht, verringern sich die Lüftungswärmeverluste. Dies bringt eine zusätzliche Einsparung an Heizenergie, doch kann dadurch eine zusätzliche Belüftung erforderlich werden, um den hygrisch erforderlichen Mindestluftwechsel in Wohnräumen sicherzustellen. Diese maximal substanzschonende Lösung bietet eine Variante zum klassischen Kastenfenster und ermöglicht den kompletten Erhalt der originalen Substanz (Fensterstock und Fensterbrett) mit minimalem Eingriff.
<fig id="j_dkp-2022-1008_fig_006" position="float" fig-type="figure">
<label>6</label>
<caption>Kloster Benediktbeuern, Alte Schäfflerei, Einbau eines Kastenfensters mit minimalinvasivem Eingriff in die bestehende Bausubstanz, 2017</caption>
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</fig>
</sec>
<sec id="j_dkp-2022-1008_s_006"><div>Fazit</div>
Alle beschriebenen Lösungen wurden durch ein umfassendes Monitoring begleitet und im Detail auf ihre Funktionsweise und Schadensfreiheit hin untersucht.<fn id="j_dkp-2022-1008_fn_003" symbol="3">Bichlmair, Stefan et al.: Schadenfreie energetische Fenstersanierung im Altbau und Denkmal – hygrothermische Aspekte. In: <italic>Bausubstanz</italic> 10 (2019), Nr. 6, S. 34–42, online: <ext-link ext-link-type="uri" xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="http://https://www.bausubstanz.de/zeitschrift/aktuelle-ausgabe/schadenfreieenergetische-fenstersanierung/">https://www.bausubstanz.de/zeitschrift/aktuelle-ausgabe/schadenfreieenergetische-fenstersanierung/</ext-link> (abgerufen am 2.3.2022). – Weitere Informationen zum Forschungsprojekt »Innovative Lösungen für die energetische Ertüchtigung historischer Gläser und Glasfenster – Praxisversuche in der Alten Schäfflerei, Kloster Benediktbeuern« sowie der Leitfaden zur Erhaltung von Bestandsfenstern online unter: <ext-link ext-link-type="uri" xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="http://https://www.denkmalpflege.fraunhofer.de/de/forschen/forschung-projekte/energetische_ertuechtigung_historischer_glaeser-und-glasfenster.html">https://www.denkmalpflege.fraunhofer.de/de/forschen/forschung-projekte/energetische_ertuechtigung_historischer_glaeser-und-glasfenster.html</ext-link> (abgerufen am 7.2.2022).</fn> Dazu wurden Oberflächentemperaturen, relative Luftfeuchte und Temperatur im Scheibenzwischenraum, Wärmefluss und die Dichtigkeit der Fensterebenen am Kastenfenster mit einer Luftwechselmessung erfasst. Die Ergebnisse zeigen, dass die hier ausgeführten Varianten technisch funktionieren und zu einer teilweise erheblichen Verbesserung in Hinblick auf die Energieeffizienz wie auch auf den Komfort im Innenraum führen.
</sec>
</div>

<article-title>Ressourcenschonung im Baudenkmal</article-title>

Ressourcenschonung im Baudenkmal

Vom Wert und Erhalt historischer Fenster

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Der Autor, als langjähriger Landeskonservator von Oberösterreich, Präsident von ICOMOS Österreich und Vizepräsident von ICOMOS International mit Lehrtätigkeiten an mehreren Universitäten seines Landes ein Veteran wie Grandseigneur der Denkmalpflege in der Alpenrepublik, hat aus der Covid-19-Not eine Tugend gemacht. Wie für ihn bezeichnend vertiefte er sich in dieser Situation in komplexere Gedanken darüber, wie die »Kulturidee des Bewahrens« in den gegenwärtigen Krisenzeiten mit ihren tief greifenden Veränderungsprozessen bestehen könne, dabei spürbar getrieben von persönlichem Verantwortungssinn. Da ihm ausdrücklich daran gelegen war, seine facettenreich ausziselierten Überlegungen und Erwägungen möglichst rasch zur Schaffung von Allianzen in sein Umfeld zu implementieren, hat Lipp sich dazu entschlossen, seine ursprüngliche Idee einer umfassenderen Buchpublikation aufzugeben zugunsten der geronnenen Form eines Essays. Das muss für seine Intentionen nicht von Nachteil sein, konnte er doch so in dieser komprimierten Version sein gesellschaftsrelevantes, aus seiner Sicht für das »Überleben« dringliche Anliegen schneller und mit konzentrierterer Intensität publik machen.
In Erläuterung des Untertitels seines Essays läutet Lipp seine Ausführungen kurz ein mit einer Definition des Begriffs <italic>Katastrophe, deren Kategorien und Konstanten</italic>. Im Folgekapitel <italic>Was geschieht kulturell</italic> werden solche einschneidenden Ereignisse historisch nachgezeichnet vom Erdbeben in Lissabon 1755, die meist systemverändernden Revolutionen in Europa, über die beiden Weltkriege, aber auch die Studentenrevolten 1968 oder die Ölkrisen 1973 und 1979/80, bis hin zum Anschlag auf das World Trade Center in New York 2001 und schließlich bis zu Corona. Und im Hintergrund ist stets die Klimakrise präsent. In diesen Zusammenhängen wird nicht zuletzt der Frage nachgespürt, wie die Menschen derartige Geschehnisse gedeutet, verarbeitet und für ihr Leben umgesetzt haben. Wichtig ist dem Autor in diesem Kontext der Hinweis auf die »Glorious Revolution« von 1688/89, in deren Verlauf nach seiner Auffassung in der Umwandlung des französischen Geometriegartens zum englischen Landschaftsgarten die Geburtsstunde der »modernen« Kulturidee Denkmalpflege zu verorten sei.
Unter der Überschrift <italic>Was passiert systemisch</italic> leitet Lipp seinen Paradeauftritt ein, bei dem er sich schon seit Längerem in der Rolle des nachdenklichen Vordenkers bewährt, wenn nicht auslebt, womit er bei seinen Mitmenschen ein Vorherdenken provozieren will, damit Nachdenken nicht zu einem zu späten und damit ineffizienten Hinterherdenken gerät. Hier intoniert er abermals sein vertrautes Plädoyer, Denkmalpflege und kulturelles Erbe als Fakt innerhalb eines umfangreicheren Systems teils konträrer, teils konstruktiver Interessenslager zu erkennen, um durch differenziertes Analysieren Chancen für Allianzen auszuloten und zu nutzen.
Unter dem zur momentanen Pandemiezeit Prioritäten konstituierenden Prädikat »systemrelevant« filtert Lipp mit der Frage <italic>Was ist systemrelevant</italic> den Stellenwert von Kultur im Ranking mit anderen gesellschaftlichen Interessen heraus. Als Destillat ergibt sich für ihn, dass im Rahmen von Kultur der Denkmalpflege in der Außenwahrnehmung durchaus eine hohe Reputation zugebilligt werde, sie im Kräftespiel mit politischen, sozialen, wirtschaftlichen oder auch individuellen Begehrlichkeiten jedoch in der Regel unterlegen ist. Als Ursache dafür macht er die Defizite in der Vermittlung sowohl emotionaler als auch wissenschaftlicher Werte des Gutes Denkmal aus.
Mit seziererischer Akribie legt er anschließend die <italic>Faktoren d</italic>[ies]<italic>er Entwicklung</italic> frei, unterteilt in eine sechsphasige Differenzierung (vor Corona) sowie eine Entdifferenzierung (nach Corona). Fazit dieser Ausponderation ist, dass sich die Denkmalpflege nach der ersteren öffentlichkeitswirksamen und letztlich positiven Bilanz zunehmend auf der Verliererseite wiederfindet.
In einem intellektuellen Husarenritt gelingt es Lipp danach, unter dem Postulat <italic>Konsequenzen konkret</italic> zunächst die gegen die Infizierung mit Corona dringend gebotenen AHA-Regeln auf die vielfältigen Bedingtheiten herunterzubrechen, unter denen das kulturelle Erbe und die Denkmalpflege existieren müssen. Die Analyse dieser die Gesundheit schützenden Maßgaben in Korrelation zur Denkmalpflege kommt einem Blick in ein Kaleidoskop gleich, bei dem für Letztere deren mannigfache Einzelteile eher trist zusammenpurzeln.
Doch bevor sich Trübsal wie bleierner Tau auf die Gemüter von Denkmalpfleger*innen legt, versucht Lipp in seinem Schlusskapitel <italic>Wege in die Zukunft. Eine neue Mythologie?</italic> ein gewisses Maß an Zuversicht zu verbreiten, indem er erneut das Narrativ von Allianzen zum Überleben – nicht nur der Denkmalpflege – beschwört. Dazu stellt er für diese einen Pflichtenkatalog auf, dessen Forderungen im Grunde altbewährte Parameter verkünden. Aber: Richtiges wird bekanntermaßen durch Wiederholung nicht falsch!
Der mitunter stakkatohafte, bisweilen auch ein wenig mäandrierende Sprachduktus ist ganz offensichtlich dem missionarischen Drang und der Ungeduld geschuldet, mit denen der Autor sein vitales Anliegen schnellstmöglich zu Papier bringen musste. Seine akademisch ausgefeilten, dicht gefügten und reichlich fremdwörterverliebten Formulierungen erfordern ein konzentriertes, damit aber gleichzeitig gewinnbringendes Lesen, das einem gleichwohl ein deutliches Potenzial an Verstehen sowie Verständnis abverlangt. Wohl deshalb dankt er zwei Mitarbeiterinnen, ihn vor »wortakrobatischen Unverständlichkeiten bewahrt zu haben.«
Nicht ganz nachvollziehbar allerdings ist, weshalb Lipp den angehängten Abbildungsteil mit seinen 15 jeweils einseitigen Bildsequenzen auch in deren Titeln anders taktet als den Textteil, obwohl sie dessen Inhalt eindringlich illustrieren sollen. Das Material dazu stammt aus seinem Jahre zurückliegenden Vorlesungsund Vortragsfundus und war (und ist es immer noch) mit seinen oft plakativen, witzigen, bisweilen provokanten Aussagen ein probates Mittel, eine Zuhörerschaft an einem gedanklichen Abdriften zu hindern – hier und jetzt wollen die Bilder anstiften zu kritischem Reflektieren und davon beflügeltem Agieren.
Seine ausgeprägte Gabe, namentlich die Denkmalpflege und das kulturelle Erbe in einem umfassenderen Beziehungsgeflecht zu verankern, um daraus strategisch kluge Konzepte für die Theorie und die Praxis zu entwickeln, prägt das Denken und Wirken von Wilfried Lipp spätestens seit seiner Salzburger Habilitationsschrift <italic>Natur – Geschichte – Denkmal. Zur Konstitution und Genese des Denkmalbewußtseins der bürgerlichen Gesellschaft – Identität und Legitimität aus Natur und Geschichte. Paradigmata aus Philosophie, Literatur und bildender Kunst</italic> von 1985 und zieht sich wie ein roter Faden durch viele seiner nachfolgenden Publikationen. Wenn man so will, darf nun dieser Essay als ein Vermächtnis Lipps betrachtet werden, dessen Essenz in Form von Maximen bereits auf dem Cover quasi eingemeißelt ist: <italic>Krisen fordern die Kultur. Kultur fordert Integration. Transformation fordert Opfer. Rettung fordert Allianzen. Hoffnung fordert Narrative.</italic> Wie gelegentlich schon während der Lektüre erinnert man sich zu guter Letzt an die Charakterisierung durch eine ihm wohlgesinnte Kollegin, die Wilfried Lipp als einen der brillantesten Denkmaltheoretiker der Gegenwart würdigt und zugleich beklagt, er sei innerhalb seiner Zunft vielleicht der am wenigsten verstandene.
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<sec id="j_dkp-2022-1009_s_001"><div>Einleitung und Problemstellung</div>
Das Klima historischer Innenräume wird sich durch den Klimawandel langfristig verändern. Bereits während der trockenen Sommer in den Jahren 2018 und 2019 wurde von geringen Luftfeuchten in Kirchen berichtet, vor allem aus dem Raum Mitteldeutschlands.<fn id="j_dkp-2022-1009_fn_001" symbol="1">Die Beobachtungen wurden vom Institut für Diagnostik und Konservierung an Denkmalen in Sachsen und Sachsen-Anhalt e. V. (IDK) sowie dem Landesamt für Denkmalpflege Sachsen (LfDS) gemacht und vor Projektbeginn mündlich kommuniziert.</fn> Halten diese niedrigen Luftfeuchten über einen Zeitraum von mehreren Tagen oder Wochen an, so bedeutet dies vor allem für organische hygroskopische Materialien Stress, in dessen Folge es zu Schäden wie Rissen, Lockerungen oder Substanzverlusten kommen kann.
Am Hochaltar der Kirche St. Nicolai in Döbeln lassen sich an den Tafelgemälden Schäden in Form von Schrumpfungen und Rissen erkennen, die mit Veränderungen des Innenraumklimas in Verbindung zu bringen sind. Diese wurden exemplarisch anhand von Musterflächen mittels eines opto-technischen Monitorings untersucht.<fn id="j_dkp-2022-1009_fn_002" symbol="2">Holl, Kristina/Karl, Anne/Bellendorf, Paul: Structured Light Scanning as a Method to Investigate the Effect of Climate Change on Cultural Heritage Items. In: <italic>Studies in Digital Heritage, Conference Proceedings</italic>, London United Kingdom, Nov. 18–19, 2021, S. 79–84.</fn>
</sec>
<sec id="j_dkp-2022-1009_s_002"><div>Fallbeispiel Hochaltar St. Nicolai in Döbeln</div>
Der zweifach wandelbare Hochaltar in St. Nicolai ist auf das Jahr 1515/16 datiert (<a ref-type="fig" href="#j_dkp-2022-1009_fig_001">Abb. 1</a>).<fn id="j_dkp-2022-1009_fn_003" symbol="3">Dehio, Georg/Bechter, Barbara et al.: <italic>Dehio – Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler / Sachsen Bd. 2: Regierungsbezirke Leipzig und Chemnitz</italic>. Berlin et al. 1998, S. 193; Gurlitt, Cornelius: <italic>Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen. Teil: H. 25., Amtshauptmannschaft Döbeln</italic>. Dresden 1903, S. 20–22.</fn> Er ist 2,85 Meter breit und einschließlich des Gesprenges circa 11 Meter hoch. Für die opto-technischen Untersuchungen richtet sich das Augenmerk auf die beiden inneren Klappflügel der ersten Wandlung. Quer durch die beiden Holztafeln verläuft jeweils ein fast durchgehender Riss. Dieser ist durch die Ausführung bedingt, da die quer verlaufenden Bretter mit Zapfen im Rahmen fixiert sind und sich diese bei Klimaänderungen nicht spannungsfrei verformen können. Die Teilstücke sind weitgehend stabil miteinander verbunden.<fn id="j_dkp-2022-1009_fn_004" symbol="4">Sitte, Wilfried: <italic>04720 Döbeln St. Nicolai Hochaltar von 1515/16, Restauratorische Arbeiten Bericht 2016</italic> (unveröffentlicht). Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, Archiv.</fn> 2016 wurden die Risse stabilisiert, gekittet und retuschiert. Vier Jahre später hatten sich diese als Reaktion auf Veränderungen des Raumklimas erneut geöffnet.
Die Risse der beiden Tafeln wurden als Testflächen ausgewählt und zwischen August 2020 und November 2021 insgesamt sechs Mal mit dem Streifenlichtscanner aufgenommen.
<fig id="j_dkp-2022-1009_fig_001" position="float" fig-type="figure">
<label>1</label>
<caption>Döbeln, St. Nicolai, Hochaltar, Erste Wandlung</caption>
<graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_dkp-2022-1009_fig_001.jpg"/>
</fig>

</sec>
<sec id="j_dkp-2022-1009_s_003"><div>Methoden</div>
Für die in-situ-Detektion von Oberflächenveränderungen wurde exemplarisch ein opto-technisches Monitoring mittels eines hochauflösenden Strukturlichtscanners (SLS) durchgeführt.<fn id="j_dkp-2022-1009_fn_005" symbol="5">Ein opto-technisches Monitoring kann auch aus der Kombination unterschiedlicher opto-technischer Methoden bestehen, wie z. B. Multispektralaufnahmen, Thermografiebilder und auch 3-D-Scans. Rahrig, Max/Drewello, Rainer/Lazzeri, Andrea: Opto-Technical Monitoring – A standardized methodology to assess the treatment of historical stone surfaces. In: <italic>The International Archives of the Photogrammetry, Remote Sensing and Spatial Information Sciences</italic> 42 (2018), H. 2, S. 945–952.</fn> Beim Scanprozess wird durch die Projektionseinheit ein sich veränderndes Streifenmuster auf die Oberfläche geworfen, welches durch die Digitalkamera der Erfassungseinheit aufgezeichnet wird. Die Oberfläche des Objektes wird so in x-y-z-Koordinaten transferiert; das digitale Abbild besteht also aus einer Vielzahl von einzelnen 3D-Punkten, allerdings ohne Farbwert.
Der verwendete Scanner<fn id="j_dkp-2022-1009_fn_006" symbol="6">Für die Scans in Döbeln wurde ein Comet L3D 5M der Firma Carl Zeiss Optotechnik GmbH verwendet.</fn> erlaubt einen Austausch der Objektive, so kann die maximal zu erfassende Fläche variiert werden. Da die Anzahl der Pixel in der Erfassungseinheit konstant bleibt, verändert sich mit der Fläche die Dichte des Geometriemodells.<fn id="j_dkp-2022-1009_fn_007" symbol="7">Die Kamera des verwendeten Comet L3D 5M hat eine Auflösung von 2448 × 2050 Pixel.</fn> Bei einer kleineren Fläche ist die Pixeldichte höher und damit der Abstand zwischen zwei erfassten Punkten geringer und umgekehrt.<fn id="j_dkp-2022-1009_fn_008" symbol="8">Je nach Messfeld variiert das Messvolumen und der 3D-Punktabstand (Messfeld, Messvolumen in mm, 3D-Punktabstand in μm): 800, 750 × 630 × 500, 300; 250, 260 × 215 × 140, 100; 75, 74 × 62 × 45, 30; 45, 45 × 38 × 30, 18</fn> Die Scans in Döbeln wurden mit einem 250er Messfeld aufgenommen.
Der hochauflösende Scan mittels SLS hält den geometrischen Zustand der Oberfläche zum Zeitpunkt der Erfassung fest. Scans der Oberfläche zu unterschiedlichen Zeitpunkten ermöglichten somit einen Vergleich von Zuständen in unterschiedlichen klimatischen Situationen. Aufgrund der hohen Auflösung sind Veränderungen im Submillimeterbereich darstellbar. Mittels einer Inspektionssoftware<fn id="j_dkp-2022-1009_fn_009" symbol="9">Die Oberflächenvergleiche wurden mit der Software GOM Inspect, der GOM GmbH berechnet.</fn> können Falschfarbenbilder generiert werden, die die Differenz von zwei Scans visualisieren. Zur besseren Verortung der Oberflächenveränderungen werden diese halbtransparent über ein



Foto der Originaloberfläche gelegt (vgl. <a ref-type="fig" href="#j_dkp-2022-1009_fig_003">Abb. 3</a>–<a ref-type="fig" href="#j_dkp-2022-1009_fig_004">4</a>)<fn id="j_dkp-2022-1009_fn_010" symbol="10">Die Endbearbeitung erfolgte mit Adobe® Photoshop 2021.</fn>. Die Erfassung des Raumklimas (Temperatur und relative Feuchte), die für die Auswertung der Scans erforderlich ist, erfolgte durch einen Datenlogger, der hinter dem Retabel aufgestellt ist.
<fig id="j_dkp-2022-1009_fig_002" position="float" fig-type="figure">
<label>2</label>
<caption>Langzeit-Klimamessung (rot: Temperatur, blau: relative Feuchte), 2003–2018. Ab 2013 wurde die Temperatur im Winter von ca. 9 °C auf ca. 12 °C angehoben. Die grau gestrichelte Linie zeigt die langfristige Reduktion der relativen Feuchten.</caption>
<graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_dkp-2022-1009_fig_002.jpg"/>
</fig>

<fig id="j_dkp-2022-1009_fig_003" position="float" fig-type="figure">
<label>3</label>
<caption>Vergleich der Messungen von Oktober 2020 und März 2021, linke Tafel (links) und rechte Tafel (rechts). Die grün gefärbten Flächen zeigen keine Veränderung, die blau gefärbten Flächen eine Verwölbung nach hinten (links max. 1,5 mm, rechts max. 0,6 mm), die gelben Flächen eine Bewegung nach vorne (links max. 0,6 mm, rechts max. 0,3 mm).</caption>
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</fig>

<fig id="j_dkp-2022-1009_fig_004" position="float" fig-type="figure">
<label>4</label>
<caption>Vergleich der Messungen von März und Juni 2021, linke Tafel (links) und rechte Tafel (rechts). Die linke Tafel weist insbesondere unterhalb des Risses eine Verwölbung nach hinten von ca. 1,5 mm auf, am Riss ist eine geringe Bewegung nach vorne (0,9 mm) erkennbar. Die rechte Tafel zeigt eine Gegenbewegung nach vorne (max. 0,6 mm).</caption>
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</fig>
</sec>
<sec id="j_dkp-2022-1009_s_004"><div>Ergebnisse</div>
Das Raumklima von St. Nicolai wurde für den Zeitraum der Messungen (26. August 2020 bis 17. Juni 2021) statistisch ausgewertet. Die Temperatur lag im Mittel bei circa 15 °C (Minimum: 10,6 °C; Maximum: 23,5 °C), die relative Feuchte im Mittel bei 62,2 % r. F. (vgl. <a ref-type="table" href="#j_dkp-2022-1009_tab_001">Tabelle 1</a>). Eine Langzeitklimamessung ab 2003 zeigte, dass die Temperatur ab 2013 speziell im Winter um etwa 3 Kelvin gestiegen war. Dies wirkt sich auf das Feuchteniveau in der Kirche aus, das über den Messzeitraum kontinuierlich abnahm (<a ref-type="fig" href="#j_dkp-2022-1009_fig_002">Abb. 2</a>). Auch die Hitzesommer ab dem Jahr 2017 zeichnen sich in den Klimadaten durch höhere Temperaturen und geringere relative Feuchten ab.
<table-wrap id="j_dkp-2022-1009_tab_001" position="float" orientation="portrait">
<label>Tabelle 1</label>
<caption>Auflistung der Tage, an denen die Messkampagnen durchgeführt wurden, sowie die statistische Auswertung der Klimadaten, die im Zeitraum zwischen zwei Messungen hinter dem Tafelgemälde gemessen wurden. In der Tabelle werden jeweils die Werte für den Zeitraum zwischen zwei Messungen dargestellt. Die statistische Auswertung für den gesamten Zeitraum vom 26. August 2020 bis 17. Juni 2021 ist in der letzten Zeile dargestellt.</caption>
<table frame="hsides" rules="all">
<thead><tr><th align="center">Tag der Messung</th>
<th align="center">Zeitraum der ausgewerteten Klimadaten</th>
<th align="center"/>
<th align="center">Minimum</th>
<th align="center">Mittelwert</th>
<th align="center">Maximum</th>
<th align="center">Δ</th>
</tr></thead>
<tbody>

<tr><td align="left">26. August 2020</td>
<td align="center"/>
<td align="center"/>
<td align="center">—</td>
<td align="center">—</td>
<td align="center">—</td>
<td align="center">—</td>
</tr>
<tr><td align="left" rowspan="2">20. Oktober 2020</td>
<td align="left" rowspan="2">26.8.2020 bis 20.10.2020</td>
<td align="left">Temperatur [°C]</td>
<td align="center">13,1</td>
<td align="center">18,5</td>
<td align="center">23,5</td>
<td align="center">10,4</td>
</tr>
<tr>
<td align="left">Relative Feuchte [%]</td>
<td align="center">53,8</td>
<td align="center">66,9</td>
<td align="center">71,7</td>
<td align="center">17,3</td>
</tr>
<tr><td align="left" rowspan="2">11. März 2021</td>
<td align="left" rowspan="2">20.10.2020 bis 11.3.2021</td>
<td align="left">Temperatur [°C]</td>
<td align="center">10,6</td>
<td align="center">13,3</td>
<td align="center">17,5</td>
<td align="center">6,9</td>
</tr>
<tr>
<td align="left">Relative Feuchte [%]</td>
<td align="center">51,1</td>
<td align="center">63,3</td>
<td align="center">73,6</td>
<td align="center">22,5</td>
</tr>
<tr>
<td align="left" rowspan="2">17. Juni 2021</td>
<td align="left" rowspan="2">11.3.2021 bis 17.6.2021</td>
<td align="left">Temperatur [°C]</td>
<td align="center">11,9</td>
<td align="center">15,7</td>
<td align="center">22,5</td>
<td align="center">6,8</td>
</tr>
<tr>
<td align="left">Relative Feuchte [%]</td>
<td align="center">52,0</td>
<td align="center">57,9</td>
<td align="center">64,0</td>
<td align="center">6,1</td>
</tr>
<tr><td align="left" colspan="2" rowspan="2">Statistische Auswertung aller Daten</td>
<td align="left">Temperatur [°C]</td>
<td align="center">10,6</td>
<td align="center">15,1</td>
<td align="center">23,5</td>
<td align="center">12,9</td>
</tr>
<tr>
<td align="left">Relative Feuchte [%]</td>
<td align="center">51,1</td>
<td align="center">62,2</td>
<td align="center">73,6</td>
<td align="center">22,5</td>
</tr>
</tbody>
</table>
</table-wrap>
Der Vergleich der Scans der beiden Tafeln vom 20. Oktober 2020 und 12. März 2021 zeigt starke Reaktionen der beiden Tafelgemälde auf das Klima (<a ref-type="fig" href="#j_dkp-2022-1009_fig_003">Abb. 3</a>). Grün gefärbte Flächen weisen keine Veränderungen auf, gelbe bis rote Flächen haben sich – entsprechend der in der Skala angegebenen Größe – nach vorne gewölbt, hellblaue bis dunkelblaue Flächen haben sich nach hinten bewegt. In der linken Tafel treten mit maximal 1,5 Millimeter die größten Bewegungen auf, die rechte weist Bewegungen von maximal 0,6 Millimeter auf. Aus der statistischen Analyse des Raumklimas (Tabelle 1) geht hervor, dass in diesem Zeitraum eine Feuchtedifferenz von 22,5 % (Minimum: 51,1 %; Maximum: 73,6 %) und ein Temperaturunterschied von 6,9 Kelvin vorlag.
Vom Frühjahr bis Sommer zeigt sich eine Gegenbewegung zu der im Herbst und Winter, jedoch ist diese weniger stark ausgeprägt (<a ref-type="fig" href="#j_dkp-2022-1009_fig_004">Abb. 4</a>). Die Klimaschwankungen sind mit 6,4 % r. F. in diesem Zeitraum geringer (Minium: 52 %; Maximum: 64 %).
Der Messzeitraum von August 2020 bis Juni 2021 wies keine Trockenperiode auf und zeigt die gleiche maximale Differenz der relativen Feuchte wie der Zeitraum zwischen Oktober 2020 und März 2021. Dies legt nahe, dass insbesondere der Zeitraum der Heizperiode einen entscheidenden Einfluss auf das Raumklima hat und dass das Tafelgemälde darauf besonders an den Rissen mit Quell- und Schwindprozessen reagiert.
</sec>
<sec id="j_dkp-2022-1009_s_005"><div>Schlussfolgerung / Ausblick</div>
An den beiden untersuchten polychromen Holztafeln zeigten sich Reaktionen auf den jahreszeitlichen Verlauf des Raumklimas. Dabei verformte sich die linke Tafel stärker als die rechte. Die größten Reaktionen traten im Zeitraum zwischen Herbst und Frühjahr auf (siehe <a ref-type="fig" href="#j_dkp-2022-1009_fig_003">Abb. 3</a>). Die entsprechende Gegenreaktion findet in der zweiten Jahreshälfte statt, jedoch weniger stark ausgeprägt (<a ref-type="fig" href="#j_dkp-2022-1009_fig_004">Abb. 4</a>).
Für die Erhaltung des Hochaltars spielt im Hinblick auf künftige Veränderungen durch den Klimawandel die Heizstrategie eine große Rolle. Eine Verringerung der Temperatur im Winter von derzeit minimal 18 °C auf 15 °C würde in diesem Zeitraum eine Erhöhung der relativen Feuchte in der Kirche um ca. 10 % r. F. bewirken. Dies hätte eine puffernde Wirkung zur Folge, von der das Altarretabel bis über die künftig trockener werdenden Sommermonate profitieren würde.



Das Monitoring mittels SLS ist eine zerstörungsfreie und sensible Methode zur Untersuchung von historischen Oberflächen, die empfindlich auf klimatische Schwankungen reagieren. So kann das individuelle Risiko eines Objekts abgeschätzt und Maßnahmen zur Verbesserung der Situation entwickelt werden. Des Weiteren kann die Methode zur langfristigen Überprüfung der Schadensfreiheit genutzt werden.<fn id="j_dkp-2022-1009_fn_011" symbol="11">Die Untersuchungen des Altarretabels von St. Nicolai in Döbeln fand im Rahmen des von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Projekts »Schadensrisiko für Kulturgut aufgrund zu geringer relativer Luftfeuchte in Innenräumen von national wertvollen Kulturgütern. Analyse und Empfehlungen zum Umgang hinsichtlich der Auswirkungen der globalen, anthropogenen Klimaerwärmung« (AZ35598-45) statt. Die Messungen vor Ort, wie auch die Auswertungen wurden von Anne Karl, Kristina Holl und Leander Pallas durchgeführt. Beim Restaurator Wilfried Sitte bedanken wir uns für die Unterstützung bei fachlichen Fragen zum Altar sowie für die Bereitstellung der Klimadaten. Dem Landesamt für Denkmalpflege Sachsen – Frau Christine Kelm – danken wir für die Diskussionen vor Ort.</fn>
</sec>
</div>

<div>
In den 1960er und 1970er Jahren wurden so viele Universitäten gegründet und bestehende Institutionen ausgebaut wie nie zuvor und nie wieder danach. Die Bauten sind geprägt durch kühne architektonische Konzepte und neue Technologien. Jede Anlage ist Zeuge einer Zeit, in der der Glaube an ein stetiges Wachstum noch ungebrochen war. Diese – aus heutiger Perspektive – naive Überzeugung spiegelt sich auch in den Entwurfskonzepten wider: Die meisten Campusuniversitäten beruhen auf einem strengen Raster, das den Grundstein für die kommende Entwicklung legen sollte. Diese Raster und der Sichtbeton sind mitverantwortlich dafür, dass es Großstrukturen dieser Zeit in der öffentlichen Akzeptanz noch immer schwer haben. Sie gelten in weiten Teilen der Bevölkerung weiterhin als Bausünden. Die bauliche Weiterentwicklung dieser Campusareale und der Umgang mit der Bausubstanz sind trotz ähnlicher Grundkonzepte und ähnlicher Probleme sehr unterschiedlich.<fn id="j_dkp-2022-1010_fn_001" symbol="1">Der Beitrag beruht auf der im September 2020 an der Universität Innsbruck abgegebenen Masterarbeit: Krenz, Lydia Constanze: <italic>Campus-Bauten der 60er und 70er Jahre und ihre bauliche Weiterentwicklung</italic>. Masterarbeit Innsbruck 2020.</fn> Der Befund erstreckt sich von Leerstand
<fn id="j_dkp-2022-1010_fn_002" symbol="2">Beispiel: Philipps Universität Marburg, Campus auf den Lahnbergen.</fn> über mehr oder minder gelungene Instandsetzungen bis hin zur Klassifizierung als Kulturdenkmal.


Die Entwicklung der Universität Konstanz kann in diesem Zusammenhang als positives Beispiel gelten. Sie wurde 1966 gegründet und bis circa 1983 errichtet. 2012 hat das Landesamt für Denkmalpflege sie inklusive ihrer Außenanlagen in die Denkmalliste der Stadt Konstanz aufgenommen.<fn id="j_dkp-2022-1010_fn_003" symbol="3">Kieser, Clemens: Harvard am Bodensee. Die Universität Konstanz als gebaute Utopie. In: <italic>Denkmalpflege in Baden-Württemberg</italic> 43 (2014), H. 4, S. 268–273, hier S. 268.</fn> Der Gesamtplan beruht auf einem einheitlichen Raster, das punktuell aufgebrochen wird, wodurch spannende räumliche Situationen entstehen. Alle Gebäude sind miteinander durch Brücken und Gänge verbunden, die die Universität zu einem kompakten und dennoch komplexen Gefüge machen.
Seit ihrer Fertigstellung hat sich die Anlage stetig vergrößert. Auffallend ist, dass bei allen neu hinzugekommenen Bauten<fn id="j_dkp-2022-1010_fn_004" symbol="4">Ausnahmen bilden das Nebengebäude ZS sowie das Kinderhaus KH.</fn> das ursprüngliche Entwurfskonzept und dessen Grundprinzipien – Raster, Verbindungen, Farb- und Höhenkonzept – beachtet wurden und als Grundlage für die Weiterentwicklung der Universität dienten. Die Beibehaltung des Konzeptes führte dazu, dass die bauzeitlichen Ideen trotz des Zuwachses an Neubauten noch immer spürbar sind und die Universität Konstanz 30 Jahre nach Bauabschluss als Kulturdenkmal anerkannt werden konnte: Auch die Gebäude, die vor der Denkmalausweisung 2012 hinzugekommen sind, wären aus denkmalfachlicher Sicht genehmigungsfähig gewesen.<fn id="j_dkp-2022-1010_fn_005" symbol="5">Mienhardt, Frank: Eine moderne Reformuniversität als Kulturdenkmal. Zur Erfassung der Universität Konstanz und zu ihrem denkmalpflegerischen Umgang. In: <italic>Denkmalpflege in BadenWürttemberg</italic> 44 (2015), H. 1, S. 8–12, hier S. 12.</fn> Das spricht nicht nur für die vorausschauende Arbeit der ursprünglichen Architekten, sondern vor allem für das Amt Vermögen und Bau in Konstanz, das für die bauliche Verwaltung verantwortlich ist. Den Mitarbeitenden ist es durch die direkte oder indirekte Auswahl von Architekturbüros sowie mittels eigener Planungen gelungen, das Areal über die Jahrzehnte hinweg qualitätvoll weiterzuentwickeln und die Wertschätzung gegenüber dem Bestand aufrechtzuerhalten (<a ref-type="fig" href="#j_dkp-2022-1010_fig_001">Abb. 1</a>, <a ref-type="fig" href="#j_dkp-2022-1010_fig_002">2</a>).
<fig id="j_dkp-2022-1010_fig_001" position="float" fig-type="figure">
<label>1</label>
<caption>Konstanz, Universität, Gebäude V, Entwurf und Ausführung: Schaudt Architekten Konstanz, 2009/10, Aufnahme 2020</caption>
<graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_dkp-2022-1010_fig_001.jpg"/>
</fig>

<fig id="j_dkp-2022-1010_fig_002" position="float" fig-type="figure">
<label>2</label>
<caption>Konstanz, Universität, Gebäude Y1 (links), Entwurf: Vermögen und Bau Amt Konstanz, 2007/08, Aufnahme 2020</caption>
<graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_dkp-2022-1010_fig_002.jpg"/>
</fig>
Der Campus Lichtwiese der Technischen Universität Darmstadt, der zwischen 1967 und 1978 errichtet wurde, beruht ebenfalls auf einem Raster, besteht aber im Unterschied zur Universität Konstanz aus Solitären, die locker verteilt in einem großzügigen, an den benachbarten Stadtwald anschließenden parkartigen Areal liegen. Anders als in Konstanz wurde, nur einzelne Bauten, das Architekturgebäude und die Maschinenbauhallen, als Kulturdenkmale ausgewiesen. Eigens für die TU Darmstadt und den Campus Lichtwiese wurde das »Darmstädter Bausystem« entwickelt, dessen Vorbild das bekanntere »Marburger Bausystem« war. Das Staatliche Hochschulbauamt entwarf ein Fertigteilsystem, welches ein hohes Maß an Flexibilität in Konstruktion, Erweiterung und Gestaltung bot.<fn id="j_dkp-2022-1010_fn_006" symbol="6">Süberkrüb, Peter: <italic>Hochschulbauten in Darmstadt. Bericht über die bauliche Entwicklung. 100 Jahre Technische Hochschule Darmstadt</italic>. Darmstadt 1977, S. 18.</fn>
Trotzdem hat es auf dem Campus Lichtwiese nur eine minimale Ergänzung im Darmstädter Bausystem gegeben: Das Bauingenieurgebäude wurde im Erdgeschoss um eine Achse erweitert (<a ref-type="fig" href="#j_dkp-2022-1010_fig_003">Abb. 3</a>). Dieser unauffällige und trotzdem ablesbare Eingriff verdeutlicht jedoch die Haltung, mit der den Gebäuden auf der Lichtwiese begegnet wird: An vielen Stellen lässt sich beobachten, dass auch an nicht denkmalgeschützte Gebäude denkmalpflegerische Maximen angelegt werden. Sowohl am Bauingenieur- als auch am Maschinenbaugebäude und der Mensa lassen sich behutsame Eingriffe feststellen, die im Rahmen des Denkmalschutzes vermutlich nicht hätten realisiert werden können, jedoch die Gebäude in ihrem historischen Wert und ihrer architektonischen Qualität anerkennen. Obwohl es sich beispielsweise bei der Sanierung des Chemiegebäudes nicht um eine Instandsetzung der alten Fluchtbalkonkonstruktion, sondern um deren Austausch handelt, zeigt die Maßnahme ein generelles Interesse an der Wahrung des historischen Erscheinungsbildes des Bauwerks. Die Erfahrung einer Ideenfortschreibung, wie sie bei dieser Sanierung gemacht wurde, kann bei der Instandsetzung weiterer Gebäude von großem Interesse sein.

<fig id="j_dkp-2022-1010_fig_003" position="float" fig-type="figure">
<label>3</label>
<caption>Darmstadt, TU Darmstadt Campus Lichtwiese, Bauingenieurgebäude 1968–1970, Sanierung: m+ Architekten Darmstadt, 2011–2013, Aufnahme 2020</caption>
<graphic xmlns:xlink="http://www.w3.org/1999/xlink" xlink:href="graphic/j_dkp-2022-1010_fig_003.jpg"/>
</fig>

Wie auch in Konstanz ist die positiv zu beurteilende Entwicklung am Campus Lichtwiese direkt den Zuständigen zuzuschreiben. Die eigene Bauverwaltung der TU Darmstadt beweist ein hohes Maß an Fingerspitzengefühl im Umgang mit dem historischen Bestand, egal ob denkmalgeschützt oder nicht.
Der Campus Technik der Universität Innsbruck wurde 1969/70 errichtet und beruht auf einem strengen Raster von 7,5 × 7,5 Meter. Sowohl die beiden Institutsgebäude als auch die Nebengebäude wurden aus diesem Raster heraus entwickelt, wodurch der Campus eine einheitliche Ensemblewirkung erhielt. Den Architekten gelang es, aus diesem Raster heraus eine vielschichtige und fein ausdifferenzierte Anlage zu planen. Ein Denkmalwert wurde gleichwohl vonseiten der Fachbehörden nicht gesehen. Zwischen 2013 und 2017 führte eine Sanierung zu einer starken Beeinträchtigung des ursprünglichen Entwurfskonzeptes. Obwohl man die Grundidee des Campus als Basis einer weiteren Entwicklung hätte nutzen können, wurde die einheitliche Platzgestaltung im Raster aufgegeben; der Campus ist so als Ensemble nicht mehr fassbar. Die beiden Institutsgebäude wurden zwar konstruktiv erhalten, die zeittypische Fluchtbalkonkonstruktion jedoch durch neue »intelligente Hüllen« ersetzt (<a ref-type="fig" href="#j_dkp-2022-1010_fig_004">Abb. 4</a>). Die ursprünglichen Bauten sind in ihrer heutigen Gestalt nicht wiederzuerkennen.

<fig id="j_dkp-2022-1010_fig_004" position="float" fig-type="figure">
<label>4</label>
<caption>Innsbruck, Universität, Gebäude Technische Wissenschaften 1967–1970, Sanierung: ATP Innsbruck, 2013/14, Aufnahme 2021</caption>
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</fig>



Neben dem fehlenden Denkmalschutz lässt sich auch die Verwaltungsstruktur als Ursache für den weitreichenden Eingriff anführen. Seit den 1990er Jahren werden die österreichischen Universitätsbauten durch eine bundeseigene Immobiliengesellschaft (BIG) verwaltet, deren Ziel die Gewinnoptimierung ist. Die Erneuerung des Campus Technik zeigt, dass der Erhalt sowie die Ertüchtigung eines historischen, nicht denkmalgeschützten, Bestands innerhalb einer gewinnorientierten Verwaltungsstruktur offenbar nicht möglich ist.
An der Gesamtmaßnahme lässt sich auch ablesen, wie eindimensional der Begriff Nachhaltigkeit in der Baubranche noch immer ausgelegt wird. Die Menge der eingesparten Heizenergie ist Messlatte für den Erfolg einer Sanierung, die verbaute Gebäudetechnik Gradmesser für einen angeblichen Stand der Technik. Architektonische Qualitäten, graue Energie, recycelbare Baumaterialien, eine lange Lebensdauer und die reale Nutzbarkeit der Räumlichkeiten spielen hingegen eine untergeordnete bis gar keine Rolle. Die »intelligenten Hüllen« von heute werden uns aufgrund ihrer Komplexität in wenigen Jahrzehnten vor genauso große Herausforderungen stellen, wie die Bauten der 1970er Jahre es heute tun.
Denkmalgerechte Instandsetzungen sind enorm zeit- und planungsintensiv und scheinen dadurch teurer als konventionelle Lösungen zu sein. Dabei stellen sie maßgeschneiderte Konzepte dar, die vorhandene Potenziale voll ausschöpfen und Bauwerke jeder Zeitstellung gegenwarts- und zukunftsfähig machen können. Die Nachhaltigkeitsdebatte innerhalb der Baubranche sollte Baudenkmale nicht länger undifferenziert als »Klotz am Bein« verunglimpfen, sondern die Denkmalpflege vielmehr als A nlaufstelle für Fachwissen, Konzepte und Methoden nutzen.
Auch wenn der Umgang mit gebauten Strukturen der 1970er Jahre heute als schwierig gilt, zeigen die Beispiele in Konstanz und Darmstadt, wie man ursprüngliche Entwurfsprinzipien für die Weiterentwicklung nutzen kann. Es überrascht, dass obwohl die Bausysteme durch ihre große Anpassungsfähigkeit und Erweiterbarkeit ideal für universitäre Bauaufgaben geeignet sind, zum Zeitpunkt der tatsächlichen Erweiterung bei keiner Campusuniversität auf das ursprüngliche System zurückgegriffen wurde.<fn id="j_dkp-2022-1010_fn_007" symbol="7">Langenberg, Silke: Flexibilität und Zweckmäßigkeit. Das Marburger Bausystem. In: <italic>Wolkenkuckucksheim</italic> 17 (2012), H. 32, S. 76–85, hier S. 81 f.</fn> Der Vergleich der drei Campusuniversitäten macht deutlich, dass die unterschiedlichen Verwaltungsstrukturen die Entwicklung und den heutigen Zustand maßgeblich verantworten. Sie sind somit ausschlaggebend dafür, ob die bereits vorhandenen Potenziale und Ressourcen erkannt und genutzt werden können.
</div>

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2009 feierte das Bistum Regensburg das 900-jährige Jubiläum des von Bischof Otto I. von Bamberg gegründeten benediktinischen Reformklosters Prüfening. Diese – neben St. Vitus, St. Jakob und Niedermünster – vierte Ordensniederlassung im ehemals lange unbebauten Westen des heutigen Weltkulturerbes »Altstadt Regensburg mit Stadtamhof« (13.7.2006) entwickelte schnell mit seinem herausragenden <italic>scriptorium</italic> und seiner Bibliothek im 12. Jahrhundert eine europäische Wirkungsgeschichte. Die Klosterkirche, eine dreischiffige Pfeilerbasilika, wurde nach Modellen der Hirsauer Reformbewegung als erster Quaderbau Altbayerns errichtet und 1119 dem hl. Georg geweiht. Sie beherbergt die weithin berühmten Wandmalereien des 12. Jahrhunderts (vollendet wohl zur Schlussweihe 1125), die nach ihrer Wiederentdeckung und Freilegung ab 1897 in den Nebenchören im Zuge einer weitgehenden Über- und Neubemalung im Presbyterium um 1900 bereits von der zeitgenössischen Denkmalpflege kontrovers diskutiert und rezipiert wurden. Der monastische Niedergang sowie die Folgen der Reformation in nächster Nähe zur protestantischen Reichsstadt Regensburg ließen erst im Laufe des 17. Jahrhundert eine monastische und bauliche Erneuerung zu. Es kam zum Abbruch der romanischen Hauptapsis, anstelle der romanischen Flachdecke wurden in Lang- und Querhaus von Johann Gebhardt freskierte Gewölbe eingezogen. Neue Seitenaltäre und die – nach Abbruch ihrer mittelalterlichen Vorgängerin – neu errichteten Vorhalle mit darüber liegenden Wohnbereichen und der Westfassade vollendeten das barocke Gepräge. Nach dem Verkauf der Klostergebäude 1803 an Privat im Rahmen der Säkularisation blieb die Kirche im Besitz des Freistaates Bayern, der nach Verträgen von 1866 die primäre Baupflicht hat, während der Kircheninnenraum ausschließlich der Kirchenbaulast unterliegt. Es waren vor allem die Spätfolgen der barocken Überformung, die mit ihren statisch-konstruktiven Störungen im Chor, an den Türmen und im Dachstuhl seither immer wieder Maßnahmen erforderlich und 2001 endlich eine eingehende Untersuchung nötig machten. In den Jahren zwischen 2014 und 2019 erfolgte schließlich im Zusammenwirken des Staatlichen Bauamts Regensburg mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) eine umfassende Instandsetzung dieses Baudenkmals von europäischem Rang. Zwei Jahre später liegen nun eine von Michael Schmidt herausgegebene Dokumentation der Maßnahmen und eine Zusammenfassung der dabei neu geordneten wie neu gewonnenen kunsthistorischen und denkmalpflegerischen Erkenntnisse in zwölf Textbeiträgen vor. Die einleitend umrissenen baulichen Eingriffe der Barockzeit mit ihren Folgeschäden geben dabei fast zwingend den Rahmen des für das komplexe Vorhaben nötigen Projektmanagements vor. Die Gliederung der Publikation mutet angesichts der jahrzehntelangen Vorbereitung und Durchführung der Sicherungsmaßnahmen (im besten Sinne) erstaunlich konventionell an. Es fallen sogleich die vorgenommene und durchaus willkommene Gewichtung zugunsten der Themenkreise Bauforschung, Kunst- und Denkmalpflegegeschichte ins Auge. Diese spiegeln jedoch nicht unbedingt die Chronologie der ebenfalls zu dokumentierenden Maßnahmen und die dabei – hier vor allem interessierenden – gewonnenen Erkenntnisse und Reflexionen bzw. das bei der denkmalpflegerischen Umsetzung notwendigerweise verschränkte interdisziplinäre wie zwischenbehördliche Arbeiten wider. Das kann vom Rezensenten als Stärke wie als auch Schwäche ausgelegt werden. In der Tat lassen sich so Redundanzen in den einzelnen Beiträgen nicht vermeiden und die Publikation erscheint so immanent zweigeteilt: in Forschungsberichte und Arbeitsberichte. Die Herausforderung einer Darstellung des Mehrwerts angewandter Forschung und des Erkenntnisgewinns in der abschließenden Würdigung, der Dynamik der langjährigen – ohne Zweifel gelungenen – Zusammenarbeit und des gemeinsamen Ringens um die besten Lösungen wurde damit aber leider nicht eingelöst. Hilfreich wäre es gewesen, diese Metaebene des inter- und multidisziplinären Diskurses in einer Einführung des Herausgebers zu reflektieren, zumal ja in der Gesamtschau der Beiträge eine hohe Professionalität aller Beteiligten erkennbar ist – sie werden nur eigenartig erratisch präsentiert. Christian Brunner vom Staatlichen Bauamt Regensburg erwähnt in seinem kurzen Überblick die Beteiligung von 20 Ingenieurbüros, 35 Restauratoren und spezialisierten Baufirmen sowie die Moderation von fünf Eigentümerinteressen neben der Koordination von hauseigenen Fachabteilungen und insgesamt rund 60 Projektbeteiligten, die schließlich eine Investition von staatlichen und kirchlichen Mitteln in Höhe von 4,4 Millionen Euro zeitigte. Auch wenn es als ein mittlerweile allzu abgenutztes Etikett erscheinen muss: Die hier dokumentierte Instandsetzung kann und sollte als ein aktuelles Beispiel einer konservatorisch restauratorischen wie denkmalpflegerischen <italic>best practice</italic> in Bayern im Umgang mit kirchlichen Großräumen und ihrer baufesten wie beweglichen Ausstattung reflektiert werden. Gerade Regensburg war ja seit den frühen 1980er Jahren Großlabor, Forschungs- und Wirkungsstätte von Spezialist*innen aus allen Sparten der Denkmalpflegeberufe und im besten Sinne ein »Lieblingskind« der staatlichen Denkmalpflege – nun sind einige ihre Protagonist*innen tatsächlich auch merklich nahe an oder bereits in das Pensionsalter vorgerückt, was die Verpflichtung aufwirft, Kontinuitäten zu schaffen.
Deshalb möge hier ein Kunstgriff erlaubt sein, indem der Blick zunächst auf den gefühlten zweiten Teil der Publikation fallen soll. Diesen eröffnet Isolde Schmidt mit einer erstmalig systematischen Darstellung der Erhaltungsbemühungen an der Klosterkirche als staatliche Bauaufgabe im 19. Jahrhundert anhand von Archivalien, Bestandsplänen und -zeichnungen, aber auch mit der Dokumentation verlorener bzw. lediglich geplanter Zustände, die im Anhang entsprechend gelistet, kommentiert und mit zum Teil ganzseitigen Illustrationen vermittelt werden. Die Regelung der Baupflicht 1863–1866 mit ihren bis heute bestehenden Besonderheiten und Widersprüchlichkeiten bedingte Bestandspläne als Grundlage späterer Kataster- und Inventarpläne und ermöglichte erste Brandschutzmaßnahmen sowie die Neueindeckung von Dächern. Das hochaktuelle Thema »Pflege und Wartung« und der Schutz vor direktem wie indirektem Wassereintrag wurde etwa mit dem Bau einer Entwässerungsanlage zeitgleich angegangen. Zwischen 1872–1875 wurden statische Untersuchungen und Langzeitbeobachtungen angestrengt, die in einem Langzeitmonitoring der Risse und dem Einbau einer »Diagonalversteifung« 1883 mündeten. Interessanterweise wurden erste romanisierende Bemühungen in den 1870er Jahren, nämlich das barocke Gewölbe mit einer Flachdecke zu ersetzen, mit Kosten- und Brandschutzgründen einerseits und der Einzigartigkeit der Darstellung des Martyriums des Hl. Georg andererseits vom Bischöflichen Ordinariat abgewehrt. Die Restaurierung der Innenraumschale 1886 schloss demnach die Erhaltung der barocken Deckengemälde ein, obwohl eine erste Re-Romanisierung mit der Translozierung der Erminoldgrabplatte und ihrer Neuaufstellung auf einer »stylgerechten« neuen Tumba vor dem Hochchor (weiter?-)betrieben wurde. Erst die »Bloßlegung« der romanischen Wandmalereien in den Chören 1897–1901 sowie die damit schrittweise einhergehende Purifizierung von barocken Einbauten und schließlich der »scrape« der Außenputze zugunsten eines mit Portlandzement verfugten Sichtmauerwerks 1907–1910 schienen bereits einen Weg ohne Wiederkehr vorzuzeichnen.
Auf dieser hier nur angeschnittenen neuen Aktenlage einerseits und auf Grundlage einer umsichtigen und kundig weit gesteckten Reflexion der jüngeren Literatur, zusammen mit unveröffentlichten Archivalien des BLfD und Beobachtungen aus seiner praktischen Denkmalpflegetätigkeit andererseits, gelingt es Michael Schmidt mit einem Parcoursritt durch die regionale sowie nationale Denkmalpflegegeschichte, die Besonderheit des Prüfeninger Fallbeispiels und die verschiedenen Ansätze der Protagonist*innen (Restauratore*innen, Kunsthistoriker*innen und Amtsvertreter*innen) beim Erhalt mittelalterlicher Wandmalerei um 1900 in Regensburg und Bayern bildhaft (im doppelten Sinn!) und durchaus überraschend neu und spannend vor dem Hintergrund des Paradigmenwechsels in der Denkmalpflege zu schildern. Seit der Jahrtausendwende hatte das Thema bereits Amts-Konservator*innen, -Restaurator*innen und Forscher*innen im Vorfeld und im Nachgang der 900-Jahr-Feierlichkeiten in Prüfening sowie der 100-Jahrfeier des BLfD 2008, vor allem aber auch durch die zunehmende Gefährdung des Wandmalereibestands zusätzlichen Aufwind erfahren. Schmidt geht auf dieser breiten Basis mit dem neu erschlossenen Bild- und Archivmaterial einer bis dato in dieser Stringenz nicht möglichen Klärung von Fragen wiederkehrender denkmalpflegerischer Dilemmata (Kompromisse produzierende Interessensausgleich- und Moderationsprozesse, gerade im kirchlichen Kontext), des jeweiligen <italic>state of the art</italic> der Beteiligten (Ausbildungsstandards), aber vor allem der zeitgenössischen Rezeption des letztlich »Erreichten« oder besser »Gewordenen« im Synkretismus aus »Barock« und »Romanik«, aus »Wiederherstellung« und »frei gelegtem Original« nach, das laut Generalkonservator Georg Hager »völlig unberührt der Forschung erhalten bleibt« (18.5.1907). Ohne eine Antagonistenrolle zu Hager zu insinuieren, verfolgt Schmidt die Kritik und Rezeption des »Falls Prüfening« anhand der Vor- und Nachkriegsschriften Hans Karlingers und die im Verlauf von mehr als 20 Jahren gewonnenen Überzeugungen Hagers ab 1919. Angesichts des Fehlens einer wissenschaftlichen Ausbildung für Restaurator*innen sowie der noch weit bis in die 1970er Jahre hinein uneinheitlichen konservatorisch-restauratorischen Methoden muss es nicht verwundern, dass Positionen der »Rückrestaurierung« wie »Entrestaurierung« im Purismus der zweiten Nachkriegszeit auch in Regensburg eine andere Art von »Stilreinheit« feierten. Als Fazit und Begründung für die aktuelle Maßnahme (endlich!) bezieht sich Schmidt auf die bereits von Hager beim Tag für Heimatpflege und Heimatschutz in Würzburg und Nürnberg 1928 formulierten Eckpfeiler des »konservatorischen Primates«.
Die Einlösung dieses Ziels wird durch Ulrike Paulik und Werner Hollnberger mit einer Chronologie der Instandsetzung zwischen Juni 2002 und April 2019 ohne Emphase dokumentiert. Fachleuten wird dennoch die besondere Anforderung, beginnend mit der Baustelleneinrichtung wie der statischen Sicherung der Türme, der Dachkonstruktion und des Chorbereichs sowie die handwerkliche und konservatorische Herausforderung der Ertüchtigung der barocken Traufgesimse von Lang- und Querhaus unter Erhaltung der romanischen Schwelle klar vor Augen stehen. Das Prinzip »soviel wie nötig und so wenig wie möglich«, durch Bestands- und Zustandserhebungen vor meist rein konservatorischen Maßnahmen ermittelt, zieht sich wie ein roter Faden durch alle Gewerke auch im Innenraum, der schließlich durch eine neue Lüftungs- und Beleuchtungsanlage kontrollierbar und neu erfahrbar wurde.
Als ähnlich umsichtig können die Beiträge von Erwin Drexler, Gerhard Zirwas und Gerhard Schlegel zu den statischen Untersuchungen, ihre strukturmechanischen Analysen und der aufeinander abgestimmte Ablauf aller statischen Maßnahmen gelten, die schließlich statische Sicherungsmaßnahmen vermeiden ließen und streng substanzerhaltend ausgerichtet waren. Diese Maxime wird auch durch die minimalinvasiven, begleitenden wie präventiven Maßnahmen, über Langzeitmonitoring noch anzupassenden Konservierungsund Pflegemaßnahmen mit Peter Tureks Beitrag zur Konservierung der romanischen Wandmalereien weiter bestätigt. Die »Kunst« des Verzichts auf Eingriffe wird hier auf einer dreißigjährigen Forschungs- und Arbeitspraxis fußend minimalistisch orchestriert: Beobachtungen zur Kunsttechnologie, Restaurierungsgeschichte und zum Raumklima (Wassereintrag, Kondensatereignisse, Salzbelastung, Mikrobiologie) sowie die Organisation eines Mikromonitoring auf entsprechender Kartierungsgrundlage für eine Nachkontrolle (UV-Fluoreszenzphänomene). Die von Turek formulierten Kriterien für den konservatorischen Umgang mögen unspektakulär erscheinen, doch sie spiegeln unprätentiös das heute erreichbare hohe Niveau und die Souveränität im Umgang mit komplexen Schadensbildern im Bereich »Wandmalerei« wider. Diese Würdigung kann im Falle der von Sebastian Endemann und Kerstin Weinert vorgelegten Dokumentation zur Natursteinkonservierung nahezu wortgleich wiederholt werden. Auch die von Jörg Heindl zusammengefassten Arbeiten am Entwässerungssystem sind vom ganzheitlichen Ansatz geprägt: In enger Abstimmung mit einer archäologischen Fachfirma wurden Entwässerungskanalarbeiten zur Behebung der Dauerfeuchte umgesetzt, eine Neuverlegung von Regenwasser- und Drainageleitungen, die in vielen Teilfragen individuelle, ja maßgeschneiderte Lösungen einforderten.
Obwohl neue bodenarchäologische Erkenntnisse aufgrund der eingriffsarm vorgenommenen Öffnungen nur in geringem Maße zu erwarten waren, bietet Silvia Codreanu-Windauer in ihrem Bericht dennoch eine Neubewertung der schon 1912 unternommenen Suche im Chorbereich nach der romanischen Hauptapsis und der kleinen Apsis an der Ostseite des nördlichen Querhausarms an. Bei Grabungen in den Jahren 2001/02 konnten etwa das romanische Paradies im Westen der Klosterkirche sowie im Nordwesten ein Apsisfragment mit Ostmauern dem 12. Jahrhundert zugeordnet werden, das zudem den Ausmaßen der freigelegten Apsis am Querhaus entspricht. Es bildete das Chorhaupt einer ans Paradies angebauten Kapelle, die nun mit einer Länge von circa 12 Metern beschrieben wird.
Zuletzt endlich eine Würdigung der schon anfänglich als Schwerpunkte definierten Beiträge: Karl Schnieringers umfassende Aufarbeitung der Befunde der bauvorbereitenden und -begleitenden Bauforschung machten es möglich, bauzeitliche Dachziegel und seltene Fragmente der bauzeitlichen Decke mit polychromen Resten (Dachbalken, Mauerhölzer) zu identifizieren, die an den perspektivischen Mäanderfries im Obergaden angrenzten. Diese Befunde bildeten die Grundlage einer zeichnerischen und ausführlich beschriebenen Rekonstruktion der Dachkonstruktion als 41 Grad geneigtes Sparrendach mit doppelter Ständerkonstruktion – dem nun ältesten nachweisbaren in Bayern. Zudem scheinen sich regionale Bautraditionen des Pfettendaches mit einer wohl von Bischof Otto von Bamberg getroffenen Materialwahl (Eichenbalken) zu verbinden. Beobachtungen zum Baufortschritt legen den nachträglichen Ausbau der Türme beginnend im Süden (wohl 1119 vollendet) nahe und beschreiben die Herausforderung einer nachträglichen Einwölbung des Chores sowie die damit verbundene Konzeptionsänderung beim Dach über der Vierung und des Presbyteriums (wohl ebenfalls auf Bischof Otto zurückgehend) sowie das Meistern der damit verbundenen Herausforderungen. Überlegungen zur Einordnung der Georgskirche als Programm- und Leitbau Bischof Ottos in die Hirsauer Klostergründungen sowie seine Nachfolgebauten mit ihren Dis- bzw. Kontinuitäten (Kloster Biburg und Windberg, Straubinger Peterskirche) stellen auch den Ausgangspunkt für Michael Schmidts stimulierende und kluge Erörterungen über den Mäanderfries dar, der mit Befundfotos und -modellen in seinen am Bau belegten Varianten illustriert und anhand der kunsttechnologischen Beobachtungen der Restauratoren Preis / Preis sowie Peter Turek im Bestand beschrieben wird. Sein ornamentgeschichtlicher Exkurs zum Mäandermotiv von der Antike bis zur Renaissance mündet in der rhetorischen Frage »Dach und Decke – ein System?«. Fußend auf Erkenntnissen Schnieringers zu romanischen Dachüberständen (Traufkasten), die das Motiv des Kranzgesimses antiker Tempelbauten tradierten, rückt Schmidt die antikisierende Motivik des Mäanderfrieses als deren Entsprechung im Innenraum ins Blickfeld. Leider verbietet der hier gebotene Rahmen, aber auch der vom Rezensenten gesetzte Schwerpunkt, die ebenfalls von Michael Schmidt in einem weiteren Beitrag nachvollziehbar vorgeschlagene Neubewertung <italic>des</italic> Prüfeninger Programmbilds, der Wandmalerei zur »Zwei-Schwerter-Lehre«, näher zu beleuchten. Last but not least soll hingegen einer Hoffnung Ausdruck verliehen werden: Wünschenswert wäre bei der anstehenden Generalsanierung der Basilika St. Emmeram, die Bedeutung angewandter Forschung zur Erhaltung mittelalterlicher Wandmalerei mit gleichem Anspruch und gleicher Umsicht wie im Falle St. Georg in Prüfening zu verfolgen und eine zeitgemäße Vermittlung mittelalterlicher Wandmalerei im Weltkulturerbe zu befördern!
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Corona – [Klima] – Denkmalpflege. Ein System im Folgensog der Katastrophen

Udo Mainzer

Aus der Zeitschrift: Die Denkmalpflege

DOI: https://doi.org/10.1515/DKP-2022-1013

Online veröffentlicht:

08 Jul 2022

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